Das Hexenkreuz
Flammen
aufzugehen. Lange standen sie davor und betrachteten es. Unbewusst fanden sich
ihre Hände dabei. Emilia brach das Schweigen: „Was meinst du, Serafina?“, sagte
sie leise.
Serafina kaute
auf ihrer Unterlippe und eine tiefe Falte teilte ihre Stirn. Schließlich sagte
sie: „Ich glaube, wir denken das Gleiche. Die Spatzen pfeifen es von den
Dächern: Der Jesuitenorden steht nahe am Abgrund. Just schnürt der Pater
General Ricci ein Paket mit brisantem Inhalt. Er vertraut es seinem Sekretär
an, der es schnurstracks zu dir bringt. Tut mir leid, aber wie es scheint, hat
uns die Prophezeiung meiner Großmutter doch eingeholt.“ Serafina sank auf das
Bett. Emilia kaute ebenfalls auf ihrer Unterlippe, als hätte Serafina sie mit
dieser Unsitte angesteckt. Sie betrachtete das Paket wie einen Feind. Plötzlich
ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie würde
nicht den gleichen Fehler begehen, wie Beatrice und gegen ihr Schicksal
ankämpfen . Oh nein, sie würde nicht am Abgrund tanzen! In aller Seelenruhe
sagte sie zu Serafina: „Gib mir bitte das Obstmesser, sei so gut.“
Ihr Ansinnen
erwischte ihre Freundin offenbar kalt. Serafina fuhr wie von der Hummel
gestochen auf: „Was? Du willst es öffnen?“, rief sie entgeistert.
„Natürlich…
Wie sollen wir sonst herausfinden, was sich darin befindet?“
„Deine Logik
ist verblüffend“, brummte Serafina, während sie widerstrebend auf die Schale
zusteuerte, neben dem das Messer lag. Einen Schritt vor dem Bett hielt sie
inne. Sie zögerte sichtlich, ihrer Freundin das Messer auszuhändigen.
„Was hast
du? Willst du es mir nicht geben?“
Serafina sah
Emilia an. Ihre Katzenaugen spiegelten deutlich ihren Unwillen wieder. „Emanuele
wird es nicht recht sein, wenn wir es öffnen.“
„Er hat es
uns aber nicht ausdrücklich verboten, oder?“, wandte Emilia triumphierend ein.
„Sicher.
Doch man hat dir auch nicht ausdrücklich verboten, dich in den Tiber zu stürzen
und du weißt trotzdem, dass du es nicht tun solltest. Anders ausgedrückt:
Emanuele hat uns ein Paket anvertraut, dass ihm selbst nicht gehört. Es war für
ihn selbstredend, dass wir kein Recht haben, es zu öffnen.“
„Du bist so
furchtbar vernunftbegabt, Serafina. Ich hoffe, deine Schüler können davon
profitieren“, seufzte Emilia gereizt.
„Das hoffe
ich auch, denn bei dir käme jede Unterweisung zu spät. Ich werde das Messer
jetzt an seinen Platz zurücklegen.“ Sie machte Anstalten dazu, doch Emilia trat
ihr in den Weg. „Nein, gib es mir! Ich muss wissen, was dieses Paket
beinhaltet. Ich spüre, dass damit etwas nicht stimmt.“
„Was soll
das jetzt wieder heißen?“, erwiderte Serafina ihrerseits genervt.
„Denk nach,
Serafina. Emanuele hat uns zwar nichts darüber verraten wollen, aber er hat angedeutet,
dass der Inhalt den Feinden der Jesuiten in die Hände spielt. Was nichts
anderes heißt, als dass der Inhalt den Jesuiten Schaden zufügt. Da stellt sich
die naheliegende Frage, warum der Pater General Ricci diese Dokumente unbedingt
konservieren möchte, wo er sie doch ganz einfach vernichten könnte? Ein kleines
Kaminfeuer und die Gefahr wäre für alle Zeit gebannt gewesen. Stattdessen
schickt er Emanuele in dieser lächerlichen Verkleidung los. Pater Ricci ging
damit ein großes Risiko ein. Ganz davon abgesehen, dass er damit Emanuele in
Gefahr gebracht hat. Nein, ich muss wissen, was es mit dem Inhalt auf sich hat.
Jetzt gib mir das Messer. Bitte…“, fügte sie hinzu.
Doch
Serafina zögerte weiter. Fast zaghaft sagte sie: „Und wenn dies genau der Augenblick
ist, in dem sich die Prophezeiung erfüllt?“
„Was willst
du damit sagen?“
„Dass wir
uns in dieser Sekunde an einem Scheideweg befinden, Emilia. Wir wissen nicht,
wohin das Schicksal ausschlagen wird. Vielleicht wird nichts geschehen, wenn
wir uns jetzt dazu entscheiden, das Geheimnis der Jesuiten zu wahren?“
Emilia
nickte. „Ich gebe dir Recht. Doch funktioniert deine These genauso gut
umgekehrt. Ebenso kann nichts geschehen, gerade weil wir es öffnen und die
richtigen Maßnahmen ergreifen.“
„Trotzdem
möchte ich dich an das Lieblingszitat deines Vaters erinnern.“
„Welches
wäre?“
„Deine
Neugier wird dich noch einmal umbringen.“
In Emilias
Mundwinkel zuckte es. „So sei es. Fordern wir das Schicksal heraus. Gib mir das
Messer.“ Emilia streckte ihre Hand aus.
„Nein“,
erwiderte Serafina und versteckte es hinter ihrem
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