Das Hexenkreuz
Rücken.
„Das haben
wir doch eben geklärt, Serafina. Was soll das?“
Doch
Serafina trotzte ihr weiter und wich zurück.
„Also gut“,
schnaubte Emilia verärgert. „Wie du willst. Dann gehe ich mir selbst eines
holen.“ Dann stutzte sie. Sie glaubte plötzlich den Grund für Serafinas
Weigerung zu kennen: „Oh, nun verstehe ich ... Du hattest wieder eine Vision,
oder? Ist das der Grund, warum ich das Päckchen nicht öffnen soll? Warum hast du
das nicht gleich gesagt?“
Kurz war
Serafina versucht nach diesem Ausweg zu greifen, doch das wäre eine Lüge
gewesen. „Nein, ich hatte schon lange keine Vision mehr“, erwiderte sie
unglücklich. „Genau das bereitet mir Sorgen. Es scheint fast so, als ob sich
mir meine Großmutter mit Absicht verweigert - als wollte sie, dass die Dinge
ihren Lauf nehmen. Trotzdem bitte ich dich inständig, deine Neugierde zu
zügeln.“
„Aber warum?
Diese Prophezeiung hat mein Leben vergiftet. Es ist an der Zeit, dass ich die Dinge
selbst in die Hand nehme. Warum kannst du mir nicht vertrauen, Serafina?“
„Darum geht
es nicht. Ich verstehe dich, glaub mir. Es ist wahr, ich hatte keine Vision
hierüber. Aber mein Instinkt warnt mich davor, dieses Paket so bald zu öffnen.
Sieben Tage, Emilia, ist alles, um was ich dich bitten möchte. Warte sieben
Tage und dann, ich schwöre es dir, werden wir das Paket gemeinsam öffnen.“
„Aber warum
müssen es denn genau sieben Tage sein?“, fragte Emilia verblüfft.
„Weil sich
mit der Zahl sieben der Zyklus des Schicksals erfüllt.“
„Wer sagt
das?“
„Meine
Mutter.“
„Dann kann
ich ja froh sein, dass es nur sieben Tage sind und nicht sieben Wochen oder gar
sieben Monate“, erwiderte Emilia trocken. Mit einem Mal erschöpft sank sie auf
ihr Bett und strich sich eine lose Strähne aus dem Gesicht. Ein Gedanke
durchfuhr sie. Jäh wurde ihr bewusst, dass in genau sieben Tagen Francescos
Abwesenheit sieben Monate währen würde. Konnte dies ein Zufall sein?
Serafina
hatte ihre Freundin nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen. „Bedeutet das, dass
du meinen Vorschlag akzeptierst?“
Emilia
lächelte schwach. „Wann habe ich dir gegenüber nicht nachgegeben?“
„Nun, das
eine oder andere Mal mit Sicherheit“, brummte Serafina kaum hörbar und legte
das Messer weg.
Mit spitzen
Fingern nahm sie dann das Paket auf und trug es in Emilias Kleiderkammer. Sie
enthielt ein geheimes Fach mit Emilias Schmuck, zu dem nur Emilia und sie
selbst den Schlüssel besaßen. Sie trug den ihren an einer Kette um den Hals.
Sie öffnete die verborgene Türe und verbannte das Paket in den hintersten
Winkel. Erst als die schwere Türe aus Stahl wieder wohl verschlossen war,
atmete sie auf. Sie hatte dem Schicksal sieben weitere Tage abgetrotzt. Bange
fragte sie sich, in welche Richtung es ausschlagen würde.
Die nächsten
Tage wurden zu einer harten Geduldsprobe. Sie warteten mit angehaltenem Atem,
ohne zu wissen worauf.
Obwohl sich
die beiden jungen Frauen bemühten, nicht an das Paket zu denken, wurde es zu
ihrem steten Begleiter. Es nistete sich in ihren Köpfen ein, strahlte in jede
Faser ihres Körpers aus und zerstörte ihren inneren Frieden.
Drei Tage
lang geschah gar nichts. Die Bewohner der Villa Meraviglia durchliefen ihre
tägliche Routine: Emilia kümmerte sich um die von ihren beiden Ehemännern
hinterlassenen Besitztümer. Sie traf sich mit Verwaltern, Geschäftspartnern und
Bankiers, während Serafina mit Filomena ihre Zeit in der Schule verbrachte.
Am Morgen
des vierten Tages kamen die Dinge ins Rollen.
Mit
hoheitsvoller Miene kündete Donatus einen Besucher an: Emilias Bruder Piero
trat nach beinahe zwei Jahren erneut in Erscheinung. Er war ihr nach wie vor
nicht willkommen. Ihr Vater, der alte Conte, hatte zwar einen Versuch unternommen,
die Geschwister miteinander auszusöhnen, doch Emilia hatte dies abgelehnt. Es
genügte, dass sie ihm eine gute Stellung in ihrer Manufaktur verschafft hatte. Sie
ließ sich regelmäßig über ihn Bericht erstatten und hatte erfahren, dass Piero
erneut begonnen hatte zu spekulieren.
Dass er
ausgerechnet jetzt in Rom auftauchte, löste sofort ein Kribbeln in ihr aus.
Einen winzigen Augenblick lang war sie versucht, ihn durch Donatus abweisen zu
lassen. Doch sie schüttelte den Gedanken als feige ab. Sie hatte gelernt, dass
man einer Plage am besten sofort begegnen sollte, bevor sich diese auswuchs und
weitere Plagen gebar. Piero würde wieder Geld von ihr erbitten und sie
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