Das Hexenkreuz
„Kannst du etwas davon entziffern?“, rief sie und packte
Serafina am Arm.
Sie schüttelte
den Kopf. „Kaum, ich habe erst vor kurzem mein Studium bei Filomena
aufgenommen. Halte still und gib mir ein wenig Zeit, es zu studieren.
Vielleicht kann ich wenigstens das Autograph am Ende der Seite entziffern.“ Sie
tippte sacht mit dem Finger darauf. „Etwas an diesen Zeichen kommt mir bekannt
vor“
Emilia
verging beinahe vor nervöser Unruhe. Sie hatte jegliches Interesse am Inhalt
der anderen Rollen verloren. Aus unerfindlichem Grund wusste sie, dass es
allein auf diese Schrift hier ankam, dass der Schlüssel zu allem darin
verborgen lag.
Emilia sah,
wie sich Serafina plötzlich versteifte. „Was ist? Konntest du das Autograph
entziffern? Sprich doch!“, forderte sie ungeduldig.
Nur langsam
wandte sich ihre Freundin ihr zu. Ihre Augen wirkten wie verklärt. Nie zuvor
hatte Emilia einen ähnlichen Ausdruck an Serafina wahr genommen. „Ich meine… ich
glaube…“, setzte diese an, als könnte sie selbst kaum fassen, was sie
verlautbaren wollte. Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und
vollendete den Satz: „Dass es sich hier womöglich um eine Schrift handeln
könnte, die unser Herr Jesus von eigener Hand verfasst hat.“
Emilia riss
ihre Augen auf: „Bist du dir da sicher?“
„Was ist
sicher in dieser Welt?“, antwortete Serafina lakonisch, doch ihre Augen erfüllte
weiterhin ein seltsamer Glanz.
Das muss
sie sein , fuhr es
Emilia durch den Kopf: Die heiligste Reliquie der Christenheit, von der
Emanuele und Francesco gesprochen hatten! Liebkosend fuhren ihre Finger die
kleinen schrägen Buchstaben entlang. „Ich glaube, du hast Recht. Es muss von
Jesus verfasst worden sein. Wir können es beide spüren, so fühlt sich Frieden
und Liebe an. Wenn Francesco nur hier wäre und fühlen könnte, was wir beide
jetzt fühlen, dann müsste er keine Zweifel mehr an seinem Glauben haben! Es
würde ihm seinen Seelenfrieden zurückbringen“, murmelte Emilia ergriffen.
„Morgen
werden wir gleich als Erstes nach Filomena schicken. Sie kann uns die
Handschrift übersetzen.“ Serafina wirkte wie verwandelt. Keine Spur mehr von
Zaudern oder Ängstlichkeit. Sie schien vergessen zu haben, dass sie Emilia
ursprünglich an ihrem Vorhaben hatte hindern wollen. Alles an ihrem Gebaren
verriet, dass sie es selbst kaum mehr erwarten konnte zu erfahren, was der Text
genau enthielt. Doch Disziplin blieb ihre zweite Natur: „Wir sollten das besser
wieder wegsperren.“ Sie rollte das Pergament vorsichtig zusammen und befestigte
erneut das rote Band darum. Dann schlug sie es sorgfältig in das Wachstuch ein
und verschnürte das Paket erneut. „Bring es zurück in das Versteck. Ich werde
nochmals nach unserem Verletzten sehen. Danach gehe ich schlafen. Ich rate dir,
dasselbe zu tun.“ Sie küsste Emilia auf die Stirn. „Alles wird gut.. Wir sehen
uns morgen früh. Sogni d´ oro, goldene Träume.“ Emilia antwortete nicht,
sondern starrte weiter verzückt auf das Paket in ihren Armen.
Am nächsten
Morgen betrat Serafina Emilias Gemach. Das Bett ihrer Freundin schien
unberührt. Auf dem Kopfkissen entdeckte Serafina ein kleines, sorgfältig
gefaltetes Stück Papier. Es enthielt nur einige wenige Zeilen:
Liebste Serafina,
deine
Mutter hat einmal zu mir gesagt, dass Liebe großzügig sein muss. Darum muss ich
gehen und Francesco seinen Seelenfrieden zurückbringen. In spätestens einer
Woche werde ich zurück sein. Ich vertraue dir solange Vico und Sascha an.
E.
P.S.
Bitte sei mir nicht böse!“
Serafina, von einer Ahnung getrieben, stürzte in die
Kleiderkammer. Sie atmete erleichert auf, als sie Emanueles Päckchen hinter den
Schmuckschatullen im Geheimfach fand. Sie wollte die Tür bereits wieder
verschließen, als sie einer Eingebung nachgab und es nochmals herauszog. Sie
zählte die Rollen durch und ihr Herzschlag setzte aus: Ein Dokument fehlte: Jenes,
das sie als Jesus zugehörig beziffert hatte! „Oh, nein Emilia, was hast du getan…“,
schluchzte Serafina verzweifelt auf. Diese Törin! Ihr vermaledeiter Eigensinn
würde ihre Freundin tatsächlich noch einmal umbringen! Was für eine wahnwitzige
Idee, Francesco mit der Rolle seinen Seelenfrieden schenken zu wollen. Und dazu
alleine nach Viterbo zu reiten! Was konnte ihr dabei nicht alles zustoßen!
Serafina starb schon jetzt tausend Ängste. Doch jetzt war keine Zeit, weder für
Vorwürfe noch Verzweiflung. Auch wenn die
Weitere Kostenlose Bücher