Das Hexenkreuz
düsterem Ton.
„Danke, dass
du fleißig Öl ins Feuer gießt. Genau das habe ich jetzt gebraucht“, fauchte
Serafina bissig,
„Immerhin,
bei dem Evangelium, das Emilia…“ Ein lautes Poltern nebenan unterbrach sie
mitten im Satz. Die beiden jungen Frauen wechselten einen erschrockenen Blick
und stürzten hinaus. Der Verletzte hatte es irgendwie geschafft, sich selbst aus
dem Bett zu befördern. „Süßer Jesus“, rief Filomena. Mit vereinten Kräften
schafften sie den Pater wieder in das Bett zurück. Die Kopfwunde hatte sich
durch den Sturz wieder geöffnet. Serafina tat ihr Möglichstes, um die Blutung
zu stillen. „Wer ist das?“, fragte Filomena verständlicherweise.
„Wir wissen
es nicht. Emilias Bruder Piero, der uns seit gestern lästig fällt, fand ihn
gestern vor unserer Tür.“
Von den
nahen Zwillingskirchen her schlug es Punkt zwölf Uhr mittags. „Meine Güte, schon
so spät“, rief Serafina erschrocken. „Filomena“, bat sie. “Ich kann hier nicht
weg. Sei so gut und frag nach Emilias Bruder Piero und ob ihn jemand gesehen
hat. Falls er noch schläft, sollte er geweckt werden.“
Filomena
kehrte schon nach wenigen Minuten zurück. Hinter ihr zeichnete sich die
gedrungene Gestalt von Grigorowitsch ab, Sergejs ehemaligen Leibdiener, der
unbedingt in Emilias Diensten hatte verbleiben wollen. Er war nicht das
allerhellste Licht, machte dies jedoch durch absolute Ergebenheit wett. Er war
es nun, der sprach: „Ich höre, der Bruder der Eccellenza wird gesucht? Der
Cavaliere di Stefano hat vor einer halben Stunde die Villa verlassen, Euer
Gnaden. Ich vermute, er ist abgereist, da er sein Gepäck auf sein Pferd lud. Er
wirkte in großer Eile.“
„Hat er
irgendetwas zu Euch gesagt?“, fragte Serafina scharf.
„Nein, Euer
Gnaden. Er hatte es wirklich sehr eilig. Er hat mich zur Seite gestoßen.“
„Es ist gut,
Grigorowitsch, Danke.“ Sie wandte sich an Filomena: „Bitte bleib bei dem
Verletzten. Ich muss rasch etwas nachsehen.“ Serafina trieb ein Gedanke um, der
in ihre Nervenbahnen stach wie eine spitze Nadel. Schon auf der Schwelle von
Emilias Gemach bewahrheitete sich ihre schlimmste Befürchtung: Jemand hatte das
Zimmer in aller Eile durchwühlt. Kommoden und Truhen waren geleert und der
Inhalt überall achtlos auf dem Boden verstreut worden. Eine Puderdose und
mehrere Porzellanflakons waren zu Bruch gegangen und verströmten lieblichen
Düfte im Raum. Serafinas Gedanken hingegen konnte man alles andere als lieblich
bezeichnen. Hätte Piero leibhaftig vor ihr gestanden, sie hätte ihn mit bloßen
Händen erwürgt. Dieser Schweinehund hatte sie einmal mehr getäuscht! Sie betrat
die Kleiderkammer. Hier herrschte ein ebenso wildes Durcheinander. Der gesamte
Inhalt wie Wäsche, Strümpfe, Schuhe und Hüte war aus Fächern und Schachteln
hervorgezerrt worden. Serafinas Blick wurde von dem herrlichen Mantel aus weißem
Zobel angezogen, den Sergej Emilia zu Beginn ihrer Liebe geschenkt hatte. Sie
unterdrückte den Impuls ihn aufzuheben und an seinen Platz zurückzuhängen.
Zuerst musste sie sich Gewissheit verschaffen. Wie von ihr befürchtet, war das
Geheimfach aufgebrochen worden. Der Dieb hatte die Schmuckschatullen nicht
angerührt, seine Begierde hatte allein den Schriftrollen gegolten. Piero musste
also ihren unermesslichen Wert gekannt haben. Aber woher wusste er überhaupt
davon?
Gedämpfte
Schritte näherten sich hinter ihr. „Serafina“, hörte sie ihren Namen rufen. Sie
erhob sich langsam. Der Augenblick der Wahrheit war gekommen. Mit klopfendem
Herzen ging sie Emanuele entgegen.
Ein Blick in
das verwüstete Zimmer hatte Emilias Bruder genügt, um das Schlimmste zu
befürchten: „Die Dokumente?“, fragte er leise. Serafina nickte nur dazu,
unfähig ihrer zusammengeschnürten Kehle ein Wort zu entlocken.
„Komm, setz
dich. Du zitterst ja.“ Fürsorglich führte Emanuele sie zu einem Sessel.
„Es war
Piero“, flüsterte Serafina. Die schlimmere Beichte stand ihr noch bevor: Dass
Emilia verschwunden war und mit ihr das Herzstück der Dokumente. Sie hatte
vorgehabt es Emanuele so schonend wie möglich beizubringen, doch in seiner
Gegenwart hatte sie aller Mut verlassen.
„Wo ist
meine Schwester?“ Mit seiner Frage löste Emanuele beinahe eine Nervenkrise aus.
Serafina begann erneut zu zittern. Nur mit Mühe konnte sie ihre Tränen
zurückhalten. „Emilia ist fort“, brachte sie schließlich heiser hervor.
„Fort? Was
soll das heißen, fort
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