Das Hexenkreuz
Christus hat der Menschheit aus seiner eigener Hand ein
Evangelium der Liebe und Toleranz hinterlassen. Dieses wunderbare Vermächtnis
wird die gesamte Christenheit verändern.“ Filomena gab sich der Erinnerung an
das wunderbare Erlebnis der Gnade hin, das sie beim Lesen erfahren durfte.
„Leider wollte mir Emilia partout nicht verraten, woher sie es hatte. Aber ich
kann es mir auch so zusammenreimen. Ich verstehe nicht, warum dieses heilige
Evangelium so lange unter Verschluss gehalten worden ist. Es könnte so viel
Segen und Frieden in die Welt bringen…“, rief sie von jähem Enthusiasmus
gepackt.
Serafina,
die Filomenas Neigung kannte, allzu rasch in höhere Sphären zu entgleiten,
beeilte sich, ihr eine kalte Dusche zu verabreichen: „Wir haben leider keine
Zeit, um über die Beweggründe jener zu spekulieren, die dieses Dokument für
sich behielten. Wir sollten besser überlegen, wie wir weiter vorgehen. Emilia
ist nämlich mit diesem überaus kostbaren Dokument auf und davon, um es zu
Francesco nach Viterbo zu bringen. Hier, lies das.“ Damit drückte sie der
verblüfften Filomena das kleine Briefchen in die Hand.
„Emilia ist
unterwegs nach Viterbo, zu Pater Colonna? Aber es sind nicht weniger als
fünfzig Meilen bis dahin.“
„Das ist
nicht einmal das Dilemma. Sie unternimmt diese Reise völlig umsonst. Francesco
Colonna ist nicht in Viterbo“, stieß Serafina hervor und machte nun keinen Hehl
mehr aus ihrer Verzweiflung. Bisher hatten sie ihre Handlungen vor diesem
Abgrund geschützt.
„Wie?
Francesco hält sich nicht mehr in Viterbo auf? Woher weißt du das? Und seit
wann ist er fort?“
Serafina
sank entmutigt auf einen Wäschekorb. „Er war nie dort, Filomena, sondern ist
schon vor Monaten auf die Insel Martinique zurückgekehrt.“
„Was erzählst
du da? Aber Emanuele hat es uns doch so bestätigt?“
„Das war die
offizielle Version, die alle Welt glauben sollte. Emanuele selbst hat die
Wahrheit durch einen Zufall erfahren. Am Tag von Francescos Abschied erschien
er hier völlig aufgelöst. Er war bis ins Mark erschüttert, da er sich von
seinem besten Freund getäuscht glaubte. Er hatte vor, Emilia davon zu erzählen.
Doch wir haben ihn schließlich überzeugen können, dass sie zu diesem Zeitpunkt
besser nichts darüber erfahren sollte. Sie hatte eben erst Sergej verloren und
erholte sich noch vom Verlust ihres Kindes.“
„Warum überhaupt
diese Verwirrung? Weshalb hat Francesco geglaubt, über seine wahren
Reiseabsichten lügen zu müssen?“ Filomena schüttelte ihre kastanienbraunen
Locken, die jeder Haube widerstanden. „Warum konnte er nicht einfach zugeben,
dass er vorhatte, auf die Insel zurückzukehren? Er ist ein freier Mann. Was
sollte diese bizarre Lüge also bewirken?“
„Jede Lüge
hat einen Grund, Filomena. Er beabsichtigte damit, eine weit größere Lüge zu
verdecken. Der edle Pater Colonna hat auf Martinique Frau und Kind
zurückgelassen“, enthüllte Serafina ihr grimmig.
Filomenas
Kinnlade klappte herunter.
„Ja, du hast
recht gehört. Diese Lüge rächt sich nun, wie jede Lüge Unglück nach sich zieht.
Es ist ein langer Ritt bis Viterbo. Der Himmel weiß, was Emilia dabei alles
zustoßen kann. Dieses törichte Mädchen. Sie riskiert ihr Leben für einen
falschen Traum. Was für eine wahnwitzige Idee, Francesco seinen Glauben
zurückbringen zu wollen. So etwas Verrücktes kann auch nur unserer Emilia
einfallen. Ich habe einzig die Hoffnung, dass das Evangelium des Jeschua sie schützt
und alles Unheil von ihr fern hält.“
„Apropos
Lügen, die Unglück nach sich ziehen…“, setzte Filomena, „Ich weiß längst, dass
Emilia Francesco liebt. Trotzdem, wenn ihr Bescheid wusstet, warum habt ihr es
Emilia vorenthalten? Dieser Schock hätte ebenso gut heilsam für sie sein
können.“
„Du sagtest
es eben selbst… Mutter befürchtete damals, dass ein solcher Schock womöglich einen
weiteren hätte auslösen können: Emilia hätte sich wieder daran erinnern können,
dass sie Sergejs Kind verloren hat.“
„Damit habt
ihr euch aber eine schöne Zwickmühle eingebrockt. Ihr habt euch quasi zwischen
Teufel und Hölle entschieden. Hättet ihr Emilia früher darüber unterrichtet,
müssten wir uns jetzt keine Sorgen darüber machen, dass sie einen
apokalyptischen Ritt nach Viterbo unternimmt. Hoffentlich gibt es dort keinen
hilfreichen Bruder, der es zu seiner Angelegenheit macht und sie über
Francescos Missgeschick aufklärt“, schloss sie in
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