Das Hexenkreuz
Gleich
hinter ihm marschierte ein winziges Mohrenkind in einem zu großen, goldenen
Kostüm. Auf seinem Kopf balancierte es einen monströsen Turban, dessen Gewicht
ihn schier zu Boden drückte. Seine kleine Faust hielt eine rote Lederleine
umklammert, an deren Ende ein munteres Kapuzineräffchen lustige Kapriolen
schlug. Die gesamte Dorfjugend hatte sich an ihre Fersen geheftet. Der Herold
blieb stehen, hob die Trompete und setzte einen weiteren schmetternden Ton ab,
der mehr durch Lautstärke als durch Harmonie glänzte. Mit großer Pose
verkündete er dann, dass der weltberühmte Ferrante heute ein Gastspiel geben
würde und den geschätzten Zuschauern ein phantastisches Programm, reich an
exotischen Tieren und gefährlichen Raubtieren aus fernen Landen biete. „Akrobaten,
Jongleure, Feuerschlucker und die schönsten Tänzerinnen der Welt erwarten euch.
Kommt, kommt alle und bestaunt die tausend Wunder! Heute um sechs Uhr. Bringt
alle eure Eltern mit.“ Sofort bestürmten ihn die Kinder.
„Wie steht
es mit Euch, Ihr edlen Herren? Keine Lust auf schöne Frauen? Oder wollt Ihr
heute Nacht alleine bleiben?“ Mit scharfem Auge hatte der Mann Serafina und
Emilia als lukrative Kunden am Wegesrand erspäht, obwohl sie sich halb hinter
einen Busch zurückgezogen hatten. Er trat näher und zog wie ein Rattenfänger
die Schar lärmender Kinder hinter sich her. Sein Auge ruhte mit Kennerblick auf
dem Araber. Zumindest hatten sie den Prunksattel mit Serafinas Decke verhüllt.
Auch die beiden jungen Frauen musterten ihn nun. Von der Nähe sah seine
Erscheinung weniger großartig aus; das Kostüm hatte wohl schon einige tausend
Wunder hinter sich. Auch wenn es mehrfach geflickt und fadenscheinig wirkte, so
achtete der Mann doch auf Sauberkeit. Er selbst musste um die dreißig sein.
Hoch gewachsen, besaß er einen geschmeidigen Körper und seine lebendigen Augen
funkelten beinahe schwarz. Man konnte ihm ansehen, dass er mit Leidenschaft zu
leben wusste. Er stellte sich vor und aus seinem gebräunten Gesicht blitzten
ihnen strahlendweiße Zähne entgegen: „Mein Name ist Ferrante, Fürst der Ägypter.
Hier, das ist für Euch, edle Herren.“ Er überreichte ihnen ein Stück Blech, in
das ein Loch gestanzt war. „Kommt heute zu der Vorstellung. Ihr Edelleute seid
selbstverständlich meine Gäste.“ Er zog seine Kappe und verabschiedete sich.
Der kleine Mohr und sein Äffchen hüpften hinter ihm her.
Emilia starrte verzückt auf das Blech in ihrer Hand.
„Oh nein“,
stieß Serafina hervor. „Du wirst doch nicht tatsächlich hingehen wollen?“
„Warum
nicht? Stell dir vor, exotische Tiere! Ich habe noch nie welche gesehen!“
„Du
vergisst, dass wir auf der Flucht sind und nicht auf einer Vergnügungsreise“,
erwiderte Serafina spitz.
Missmutig
kräuselte Emilia ihre Stupsnase. „Wirklich, du bist immer so ekelhaft
vernünftig, Serafina. Warum sind wir denn aus unserem Dorf geflohen? Damit wir die
Welt und ihre Wunder kennenlernen! Wäre die Vorstellung heute nicht ein guter
Anfang? Guck nicht so griesgrämig. Ehrlich, du siehst aus wie Tante Colomba.
Bitte lass uns hingehen“, bettelte Emilia um ihre Zustimmung. Serafina schüttelte
den Kopf: „Du bist und bleibst unverbesserlich, Emilia. Hast du nicht erst
kürzlich hoch und heilig gelobt, dich ab sofort verantwortungsbewusster zu
zeigen? Das wäre heute ein guter Anfang…“
„Ich
verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu schaffen hätte“, ereiferte sich
Emilia. „Was kenne ich bisher von der Welt?“ Eifrig wie ein kleines Mädchen
nahm sie ihre Finger bei der Aufzählung zur Hilfe: „Da wäre das Kloster in
Assisi, zweimal der Markt in L`Aquila und einmal erst bin ich am Meer gewesen. Meine
Erfahrungen beschränken sich auf weniger als eine Handvoll! Ich bin so
ahnungslos wie ein frisch aus dem Ei geschlüpftes Küken!“
„Und genauso
verletzlich“, konterte Serafina. „Versteh doch, Emilia. Wir haben keine Zeit
für Vergnügen .“
Im Grunde
wusste Emilia, dass ihre Freundin Recht hatte, doch sie zog es vor, zu
schmollen: „Du gönnst mir einfach gar nichts. Ich will bleiben und damit basta!“
„Basta,
soso. Und wer ist es nun, der über andere bestimmt, hmm?“, entgegnete Serafina
süffisant. Sie winkte ab. „Ach, vergiss es. Ich habe keine Lust, dein
Kindermädchen zu spielen. Geh und vergnüg dich, wenn du meinst. Ich gehe meinen
Kräutervorrat auffrischen. Es riecht nach Minze und wildem Thymian.“ Sie entfernte
sich. Emilia
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