Das Hexenkreuz
Anweisung eine Kräuterpaste
für deren Wunde angerührt. Mit einem frischen Verband versehen, fühlte sich
ihre Freundin bereit, die neue Etappe in Angriff zu nehmen. Die Umkehr kam
nicht mehr zur Sprache.
Eine Weile
folgten sie der Baumgrenze. Bald stießen sie auf einen felsigen Pfad, der in
eine grüne Schlucht mündete. Der Aterno schimmerte ihnen silbern entgegen. Am
frühen Nachmittag war der Abstieg geschafft. Sie ließen die Pferde ausgiebig
trinken und grasen. Sie selbst verschlangen ihr letztes, hart gewordenes Brot.
Zum Nachtisch pflückten sie kleine Erdbeeren, die überall wild wuchsen und aßen
davon, so viel sie konnten. Danach folgten sie dem Fluss weiter stromabwärts,
bis er am Ende der Schlucht zwischen den Felsen verschwand. Dort stießen sie
auf einen weiteren Pfad. Nach einer Kehre entdeckten sie einen von einem
Maultier gezogenen Karren, der vor ihnen den Weg hinabrumpelte. Waren die Nacht
und der Morgen durch das Gewitter recht kühl gewesen, so hatte sich der
restliche Tag von seiner freundlichsten Seite gezeigt. Emilia vermutete, dass
der Pfad weiter unten in einen breiteren Weg mündete, der nach Avezzano führte.
Sie machte Serafina darauf aufmerksam. „Hatten wir nicht vorgehabt, abseits der
Straßen zu bleiben?“
„Überleg
doch, bei den vielen Umwegen, die wir hinter uns haben, sollten uns etwaige
Verfolger längst überholt haben. Sie werden uns kaum in ihrem Rücken suchen“,
erklärte Emilia.
„Ich
verstehe.“ Serafina grinste. „Du hast also endgültig genug von der Einsamkeit
der Natur.“
„Die nächtlichen Bärenangriffe nicht zu vergessen!“
Die beiden
Freundinnen sahen sich an und brachen gleichzeitig in Gelächter aus. „Ja, bisher
haben wir nichts ausgelassen“, meinte Emilia. „Hoffen wir, dass der Rest der
Reise ruhiger verläuft.“
Serafina bezweifelte dies sehr.
Den Bauern
auf seinem Karren hatten sie bald eingeholt. Er hatte eine Fuhre Winterrüben
geladen und sie kauften ihm einen kleinen Sack für die Pferde ab.
Am Nachmittag
begegneten ihnen erstmals einige Schafhirten, die mit ihren Herden über die
Weiden zogen. Mit beginnender Dämmerung waren sie auf der Suche nach einem
Nachtquartier und hörten einen Hund bellen. Hinter einer kleinen Kuppe tauchte
ein einsames Gehöft auf. Rauch kräuselte aus dem Kamin.
„Scheint,
als hätten wir Glück“, rief Emilia und gab ihrem Pferd die Sporen. Für einige
Münzen erlaubte ihnen der Bauer gerne in seiner Scheune Quartier zu beziehen.
Sie duftete herrlich nach Gras und Heu und Paridi machte sich sofort auf die
Jagd nach seinem Abendessen.
Die Bäuerin,
eine dralle Person mit einem gutmütigen Gesicht, lud die jungen Herren in die
Stube ein. Über dem Feuer dampfte eine Minestrone. Ihr würziger Duft trieb
Emilia und Serafina das Wasser im Mund zusammen. Dazu gab es mit Knoblauch
gewürzte Maisfladen aus dem Holzofen. Satt und zufrieden ließen sie sich
anschließend im Heu nieder. Die hohe Scheune roch nach Sommer und sie genossen
die erste sorglose Nacht seit ihrer Flucht. Auch den Pferden schien es zu
gefallen. Sie schwelgten im Heu und schnaubten glücklich. Kater Paridi
schnarchte.
Sie erwachten
ausgeruht und zuversichtlich und setzten ihre Reise fort. Am frühen Nachmittag
erreichten sie den kleinen Ort Ovindoli, wenige Kilometer nördlich des
Städtchens Avezzano. Während sich Serafina am Brunnen auf dem Dorfplatz
erfrischte und anschließend bei einem Bauern frisches Brot, Käse und einen
Beutel Äpfel erwarb, wartete Emilia mit ihrem auffälligen Pferd in einem
Gebüsch abseits des Weges. Hinter Ovindoli ließen sie sich am Wegesrand nieder
und verschlangen ihr Essen. Das schöne Wetter hielt weiterhin an und keine
Wolke trübte den azurfarbenen Himmel. Zurückgelehnt genossen die beiden jungen Frauen
die Sonnenstrahlen und überließen sich der Trägheit, die einer guten Mahlzeit
folgte. Bienen summten, die Pferde grasten, Paridi strolchte.
Plötzlich
zerriss der schmetternde Klang einer Fanfare die beschauliche Stille. Erschrocken
fuhren sie hoch. Soldaten in dieser ländlichen Gegend? Beruhigend legte
Serafina ihre Hand auf Emilias Arm. Sie lächelte. „Sieh doch!“
Auf der
Kuppe zum Dorf war ein Harlekin in einem grünroten Kostüm aufgetaucht. Er
schwenkte eine Trompete, die passend mit grünroten Wimpeln geschmückt war. Bei
jedem seiner Schritte bimmelten die Schellen an seiner Mütze und an den roten
Pantoffeln, deren Spitzen nach mittelalterlicher Art hochgebogen waren.
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