Das Hexenkreuz
Schöne?“
„Emilia“,
flüsterte sie. Sie fühlte sich seltsam schwach. Der Hengst stieß in
unmittelbarer Nähe ein lautes Wiehern aus. Der Laut kam gerade rechtzeitig und
beförderte Emilia in die Realität zurück. Sie bedachte Ferrante mit einem
wilden Blick, rückte von ihm ab und sammelte ihre Kappe auf. Unter seinem
leidenschaftlichen Ansturm hatte sich ihr Haar gelöst und sie beeilte sich nun,
es erneut in einem Zopf zu bändigen und unter der Kappe zu verbergen. Schweigend
verfolgte Ferrante ihr Tun. „Dein Haar ist ein prachtvoller Schmuck. Du solltet
es nicht verbergen“, sagte er sanft.
„Ich habe
meine Gründe. Und hört auf, mich zu duzen“, schnappte Emilia. Spielend schaffte
sie den Übergang, jenen Groll, den sie gegen sich selbst hegte, auf ihn zu
richten. Viel hatte nicht gefehlt und sie hätte sich einem ihr fremden
Zigeuner hingegeben!
Ihr Zorn
prallte an Ferrante ebenso wirkungslos ab wie ein Kieselstein an einer Mauer.
Er schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln, das seine starken weißen Zähne
entblößte: „Sicherlich hast du die, mein wildes Fohlen. Die Soldaten suchen
schließlich nicht umsonst nach dir. Darf man erfahren, was du verbrochen hast?“
„Nein, das
darf man nicht!“, schoss sie zurück. „Was geht es Euch überhaupt an? Und nennt
mich nicht Euer wildes Fohlen!“ Sie wandte sich brüsk von ihm ab, um die Pferde
zu holen. Doch Ferrantes nächste Worte ließen sie in ihrer Bewegung erstarren. „Leider
ist dies ganz und gar meine Angelegenheit. Denn ich habe soeben für dich die
Soldaten des Herzogs von Pescara belogen und sie auf eine falsche Fährte
gelockt. Ich habe freiwillig auf die Belohnung verzichtet, die zu deiner Ergreifung
ausgesetzt worden ist. Fünfzig Golddukaten! Ein hübsches Sümmchen. Diese Menge
Gold würde das Auskommen meiner Leute auf Monate sichern. Die überwiegende Zeit
leben wir von der Hand in den Mund. Ich habe es getan, weil dein Freund meinen
Tiger gerettet hat. Aber dafür schuldest du mir die Wahrheit. Der Anführer
behauptet, du hättest ein Rassepferd gestohlen. Doch das ist nur ein Teil der
Geschichte. Warum reist du als junger Mann verkleidet? Warum jagen dir sechs
Soldaten hinterher und bieten fünfzig Golddukaten für deine Ergreifung? Dafür
kann man sich leicht mehrere Rassepferde leisten.“
Langsam
drehte sich Emilia zu ihm um. Ihre tiefe Blässe rührte ihn. Impulsiv zog er sie
erneut in seine Arme. Das überwältigende Gefühl, dieses junge Mädchen zu
beschützen, überraschte ihn selbst. Emilia wehrte sich nicht gegen seine
Umarmung. In der flüchtigen Geborgenheit, die seine Arme ihr gewährten, stellte
sie fieberhafte Überlegungen an. Immerhin, Ferrantes Worte hatten ihr verraten,
dass ihre Verfolger nichts von Serafina zu wissen schienen. Sie hatten damit
gerechnet, dass sich Piero aus Schmach über sein gestohlenes Pferd und seine
Börse auf ihre Fersen heften würde. Warum aber hetzte der Herzog ihr seine
Soldaten auf den Hals und lobte eine derart hohe Belohnung für ihre Ergreifung
aus? Die einzige Erklärung, die ihr dazu einfiel, war jene, dass er es aus
verletztem Stolz tat. Sie hatte seine Ehre beleidigt. Wäre sie ein Mann, würde
der Herzog sicher Genugtuung verlangen und sie zu einem Duell fordern.
Sie löste
sich aus Ferrantes Umarmung. Er gab sie nicht völlig frei, sondern hielt sie
auf Armeslänge von sich. Der Anführer der Zigeuner wartete noch immer auf eine
Antwort.
Emilia fand,
dass es keinen Grund gab, warum sie ihm die Wahrheit vorenthalten sollte: „Der
Herzog will mich heiraten, ich aber ihn nicht. Darum bin ich mit einem Freund
geflohen. Das ist alles“, erklärte sie schlicht. Solange er Serafina für einen
Mann hielt, wollte sie es dabei belassen.
In Ferrantes
Augen trat ein seltsamer Ausdruck. Eine Weile forschte er in ihren Augen, als
suchte er eine andere Wahrheit darin zu lesen. Dann ließ er sie los. „Du
scheinst recht überrascht darüber zu sein, dass der Herzog dir Soldaten
hinterher schickt. Kennst du ihn so wenig, dass du nicht damit gerechnet hast?“
„Um der
Wahrheit Genüge zu tun - ich kenne ihn überhaupt nicht. Bis zu dem Tag, an dem
mein Vater mir eröffnet hat, dass ich ihn heiraten soll, habe ich nie von ihm
gehört.“
„Du hast nie zuvor von ihm reden gehört?“ Etwas an der Art,
wie er die Frage stellte, forderte Emilias Widerstand heraus. Schnippisch
erwiderte sie: „Auch für den Fall, dass Ihr, Herr Fürst der Zigeuner, mich für
provinziell
Weitere Kostenlose Bücher