Das Hexenkreuz
schockieren, starrte
sie an, als wäre sie von einem fremden Stern herabgestiegen. Fast hätte Emilia
seine verdutzte Miene zum Lachen gebracht. Doch sie hielt sich zurück. Ihr war
bewusst, dass sie den Mann brauchte. Wenn man den Auskünften Ferrantes
uneingeschränkt Glauben schenken konnte, dann würde der Herzog die Suche nach
ihr nicht aufgeben. Ergo mussten sie sich schlauer als er und seine Soldaten
anstellen. Die Gleichung war einfach: Wenn die Soldaten sie nicht fanden und
dem Herzog auslieferten, dann könnte er sie auch nicht heiraten. Ihr Heil lag
nach wie vor in der Flucht. Es konnte doch nicht allzu schwer sein, den Männern
des Herzogs zu entkommen, vor allem, da jene sie nie zuvor zu Gesicht bekommen
hatten. Eine Entscheidung allerdings war sofort zu fällen: Sie musste sich von
dem Vollblut trennen. „Ferrante, hör mir zu! Mein Araber soll dir gehören, wenn
du uns hilfst. Was sagst du dazu? Sind wir im Geschäft?“
Ein kurzes
Leuchten zog bei ihren Worten über sein Gesicht. Dieses herrliche Vollblut war
eines Königs würdig. Er wusste das. Doch seine Freude währte nur kurz, das
Leuchten erlosch. „Nun ja“, meinte er. „Ich würde behaupten, dass es ein
ziemlich schlechter Tausch wäre. Nicht für mich, sondern für dich.
Andererseits…“, Ferrante kratzte sich am Kinn, „…ist sein Besitz für mich mit
einem deutlichen Risiko verbunden. Man sucht nach diesem Tier. Sollte man es
bei mir finden, riskiere ich nicht weniger als den Strick. Hast du es
tatsächlich dem Herzog gestohlen?“
„Nein,
meinem Bruder Piero. Er war es, der mich an den Herzog verkauft hat. Er ist ein
Trinker und ein Spieler und ein schlechter Reiter. Der Araber war viel zu gut
für ihn.“ Das fragliche Rassepferd hatte sich an Emilia herangepirscht und
knabberte an ihrem Rock. Ambra hingegen hatte sich im Schatten einer mächtigen
Eiche niedergelassen und hielt Siesta. „Du hast Recht“, meinte Emilia zu dem
Araber und strich ihm über die weichen Nüstern. „Wir sollten ins Lager
zurückkehren.“
Ferrante verharrte
unschlüssig. Im Dorf schlug die Kirchenglocke an und löste ihn aus seiner
Starre. Er holte die Stute, die einen Unmutslaut von sich gab, da sie ihr
weiches Plätzchen aufgeben musste. Gemeinsam kehrten sie zum Lager zurück. Sofort
wurde Ferrante von Männern belagert, die gestikulierend in ihrer Sprache auf
ihn einredeten. Angesichts dieses Aufruhrs hielt es Emilia für angebracht, sich
unauffällig zu verziehen. Sie wollte sowieso nach Serafina sehen. Nicht wenige
böse Blicke folgten ihrer schmalen Gestalt. Sie traf ihre Freundin weiterhin
schlafend an und beschloss stattdessen, dem kranken Tiger einen Besuch abzustatten.
Kurz hatte sie befürchtet, dass Ferrante jemanden bei ihm zurückgelassen haben
könnte. Aber jedermann war mit den letzten Vorbereitungen für die Vorstellung
beschäftigt. Anschwellendes Stimmengemurmel und laute Kinderrufe kündigten die
ersten Zuschauer an.
Einer aber
hielt Wache: Paridi. Dem mächtigen, gelb-schwarz gestreiften Tier bei seinem
heilsamen Schlaf zuzusehen, übte auf Emilia eine seltsam beruhigende Wirkung
aus. Sie kletterte auf den Wagen, häufte etwas Stroh zusammen und machte es
sich darin wie in einem Nest bequem. Paridi leistete ihr sofort Gesellschaft,
indem er sich an ihrer Seite zusammenrollte.
Eine Fanfare
setzte schmetternd ein, die Vorstellung begann. Ferrantes weithin tönende
Stimme erhob sich in die Lüfte und kündigte eine phantastische Darbietung
wagemutiger Feuerschlucker an. Trommelwirbel, Klatschen, Musik, staunende
„Ahhs“ und „Ohhs“ und Hochrufe wechselten sich in rascher Folge ab. Doch die
Lust sich die Vorführung anzusehen, war Emilia gründlich vergangen.
Sie konnte
sich nicht erklären, wie es hatte passieren können, jedenfalls erwachte sie
erst wieder, als Serafina sie mit einem sanften Rütteln weckte. Der Tag war der
Dämmerung gewichen und der frühe Abend wahrte die Hitze des Tages. Trotzdem
hatten die Zigeuner ein Feuer entfacht. Das fahrende Volk war nun unter sich.
Eine Geige spielte und eine heisere Frauenstimme sang ein Lied von Herz
zerreißender Traurigkeit. Emilias verwirrter Gesichtsausdruck entlockte
Serafina ein Lächeln. Sie hatte eine Öllampe mitgebracht und stellte sie auf
dem Boden neben dem Wagen ab.
„Hast du
schon mit Ferrante gesprochen?“, erkundigte sich Emilia. Serafina verneinte und
erklärte, dass sie sofort nach dem Tiger hatte sehen wollen und dabei über sie
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