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Das Hexenkreuz

Das Hexenkreuz

Titel: Das Hexenkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Muenzer
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Halt
zu finden. Emilia ließ instinktiv die Zügel schießen, klammerte sich an ihren
Hals und konzentrierte sich darauf, im Sattel zu bleiben. Buchstäblich im
letzten Moment entkamen Pferd und Reiter einem verhängnisvollen Sturz. Mit
klopfendem Herzen stieg Emilia ab und suchte zunächst ihr Pferd zu beruhigen.
Sie beschloss, den Weg von nun an zu Fuß fortzusetzen. Zunächst aber musste sie
das Maultier suchen, das ohne jeden Sinn für das sich abspielende Drama
beigedreht hatte. Emilia hatte einen Verdacht, wo sie es finden würde. Kurz
zuvor hatten sie eine kleine Quelle passiert, an der büschelweise saftiges Gras
wuchs. Ferrantes Maultier war auffällig verfressen, kein Grashalm, an dem es nicht
zupfte. Tatsächlich fand Emilia es genau dort: Friedlich im Mondlicht grasend,
ein grauer Fleck am Rande der Quelle. Emilia schüttelte den Kopf. Selten war
ihr eine hässlichere Kreatur begegnet. Das Tier besaß einen viel zu großen Kopf
für seinen mageren Rumpf und das struppige Fell war an vielen Stellen kahl.
Dazu schielte es zum Fürchten. Das Tier ließ sich durch Emilias Ankunft nicht
bei seiner Mahlzeit stören und widmete sich weiter seinem nächtlichen Imbiss.
Die auf ihm festgebundene Serafina wippte bei jeder seiner Kopfbewegungen
gefährlich auf und ab. Emilia näherte sich ihm. „Da bist du ja, du Vielfraß!“
Sie hielt ihm eine Rübe entgegen, die sie in ihrer Tasche gefunden hatte. Das
Maultier schielte zwar begehrlich darauf, doch es fiel nicht darauf herein. Kaum
hatte sich Emilia ihm auf wenige Schritte genähert, wich es genau so weit zurück.
Zwischendurch rupfte es rasch ein Maul voll Gras. Sie spielten das Spiel eine
Weile, dann setzte sich Emilia resigniert an die Quelle und wartete, bis das
Maultier von alleine kam. Sie zog ein Stück Brot und eines der höllenscharfen
Würstchen aus der Vorratstasche, die ihr Ferrante mitgegeben hatte. Das Maultier
hob sofort den Kopf, schnupperte und stieß einen entzückten Laut aus. Mit
schleifenden Zügeln trabte es heran und bettelte Emilia treuherzig wie ein Hund
an. „So ist das also. Du magst die Wurst!“, meinte Emilia und bot sie ihm an.
Es schnappte danach und kaute genießerisch mit geschlossenen Augen. Emilia
griff hurtig nach den Zügeln. Geschafft. Sie sah nach Serafina und fand ihren
Zustand unverändert.
    Den Rest der
Nacht führte sie die beiden Tiere am Zügel. Der Pfad hatte sich irgendwann im
Nirgendwo verloren. Fluchend schlug sie sich weiter querfeldein, mitten durch
ein stacheliges Gestrüpp, stolperte über eine Böschung und ganz plötzlich lag die
alte Römerstraße vor ihr. Ha, ab jetzt würde sie auf den großen
Pflastersteinen der via Salaria marschieren, jeder Warnung zum Trotz! Seit
sie das Zigeunerlager verlassen hatte, fühlte sich Emilia seltsam frei und
lebendig - als wäre ein Bann von ihr abgefallen. Entschlossen führte sie die
beiden Tiere auf die Straße und saß auf. Alles ging gut. Bis auf zwei
Trunkenbolde, die sich schon weithin grölend ankündigten, begegnete Emilia
keiner Menschenseele.
    Allerdings
bereitete ihr Serafinas Zustand zunehmend Sorgen. Unvermittelt tauchte ein
riesenhafter Schatten aus dem Dunkel vor ihr auf. Emilia erschrak sich beinahe
zu Tode, dann aber lachte sie. Sie hatte Paridi erkannt. Das Mondlicht hatte
die Gestalt des Katers grotesk vergrößert zurückgeworfen. Schmeichelnd strich
er um sie herum, als wollte er sagen: Was soll die Aufregung? Mit hoch
erhobenem Schwanz setzte er sich sodann an die Spitze der kleinen Karawane.
    Eine Stunde
später begann sich der Horizont im Osten langsam zu röten. Der fünfte Tag seit
Beginn ihrer Flucht brach an. So viel hatte sich seither ereignet, dass es
Emilia schien, als wären inzwischen Wochen seit ihrem Aufbruch aus Santo
Stefano vergangen.
    Die Wildnis
kam ihr wie ausgestorben vor. Sogar die Tiere verhielten sich auffällig still
und nur ein gelegentliches Rascheln verriet ihre Anwesenheit. Mit dem heraufdämmernden
Tag wurde es Zeit, sich nach einem geeigneten Versteck umzusehen. Am Fuße eines
bewaldeten Hügels konnte Emilia die Schemen zweier windschiefer, aneinander gedrängter
Gehöfte ausmachen. Hinter einem der Fenster flackerte Kerzenlicht. Emilia
beschloss, ein Stück in Richtung Nordosten weiterzureiten, um das Gehöft hinter
sich zu lassen. Als Ziel hatte sie einen lang gezogenen Hügel erkoren, auf dem sich
der Schatten eines größeren Waldes abzeichnete. Gleichzeitig würde sie von der
höher gelegenen Lage aus das Kommen

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