Das Hexenkreuz
Emilia ihre Kleider zu. „Zieh dich an, Mädchen.“
Emilia kam
dieser Aufforderung nur zu gerne nach.
Cesira
verfolgte aufmerksam jede ihrer Bewegungen. „Du bist schön, Mädchen, gefährlich
schön“, sagte sie mit ihrer brüchigen Stimme. „Viele Männer werden dich
begehren. Doch nimm dich in acht, denn auch du begehrst die Männer. Du bist bis
ins Mark ein Weib und dein Körper ist für den Altar der Liebe wie geschaffen.
Doch nur einem bist du bestimmt. Für ihn musst du dich bewahren.“
Cesiras
Worte weckten Emilias Kampfgeist und rissen sie aus ihrer Lethargie. Anscheinend
hatte sich die halbe Welt verschworen, sich in ihr Leben einzumischen!
„Ich schulde
Euch Dank für Eure Gastfreundschaft, Signora Cesira. Aber mein Leben muss Euch
nicht kümmern! Ich bewahre mich, für wen ich will. Und nun wünsche ich
Euch eine gute Nacht.“ Mit aller Würde, derer sie unter diesen Umständen fähig
war, kehrte sie ihr den Rücken und schritt mit hoch erhobenen Kopf davon.
Cesira sah
ihr nach, bis ihre aufrechte Gestalt von der Dunkelheit verschluckt wurde.
„Vielleicht,
vielleicht aber auch nicht“, murmelte sie kichernd. Dann nahm sie ihren mit
Kräutern gefüllten Korb auf und verschmolz mit den Bäumen.
Emilia hatte
kaum den ersten Wagen des Lagers erreicht, als sie schon von zwei kräftigen
Armen gepackt wurde. Sie gehörten Ferrante und er war nicht allein. Der
Stallbursche trat aus dem Schatten und hielt Emilias brave Stute Ambra am Zügel.
Hinter Ferrante tauchten die Umrisse eines Maultiers auf. Eine in sich
zusammengesunkene Gestalt kauerte darauf. Emilia brauchte einige Sekunden, um
zu erkennen, dass es sich um ihre Freundin Serafina handelte. „Was ist mit
meinem Begleiter?“, rief sie erschrocken.
„Schscht“,
machte Ferrante und legte den Finger an ihre Lippen. Er sprach leise mit ihr,
da er nicht wollte, dass der Bursche ihrem Gespräch lauschen konnte. „Ich weiß
jetzt, dass auch dein Begleiter eine Frau ist. Ich konnte deine Gefährtin nicht
wach bekommen und habe sie daher auf dem Sattel festgebunden. Ich vermute,
meine Mutter hat ihr einen Schlaftrunk verabreicht. Sie hat euch verraten. Ich
habe zu spät bemerkt, dass sie einen ihr ergebenen Mann den Soldaten des
Herzogs hinterher gesandt hat. Sie werden in längstens zwei Stunden hier sein.
Ihr müsst sofort aufbrechen. Haltet euch von der Hauptstraße fern.“ Ferrante
verhielt sich wieder wie ein befehlsgewohnter Anführer. Träumte sie oder hatte
die demütigende Szene vorhin nicht stattgefunden?
Ferrante erriet
ihre Gedanken: „Ich weiß, meine Schöne“, flüsterte er und seine Lippen streiften
ihre Schläfe. „Aber mir blieb keine Wahl. Mutter hätte sonst Verdacht
geschöpft, dass ich Vorkehrungen getroffen habe, euch beide noch diese Nacht
von hier fortzuschicken. Verzeih, wenn ich dich verletzt haben sollte. Ich war
schwach. Anstatt dich gleich gehen zu lassen, wollte ich dich wenigstens einmal
besitzen.“ Er riss sie in seine Arme, presste sie an sich und küsste sie ein
letztes Mal. Dann ließ er sie abrupt los und hob sie in den Sattel. Er nahm die
Zügel von Serafinas Maultier und übergab sie Emilia.
Der
Ägypterfürst, eben noch fest entschlossen sie wegzuschicken, zögerte plötzlich.
Er hielt sie zurück, indem er ihr seine Hand auf das Bein legte: „Ich würde mit
dir kommen, Liebste, doch das hieße, mein Volk im Stich zu lassen. Doch ich
wünsche dir, dass du findest, was dein Herz begehrt. Adieu, mein Lieb!“
Dann waren
sie fort. Ferrante verharrte noch geraume Zeit auf der Stelle. Seit Ewigkeiten
war wieder ein Gefühl in ihm erwacht, von dem er lange nicht gekostet hatte. Er
hatte geglaubt, es für immer verloren zu haben.
„Dein
Schicksal möge sich erfüllen“, flüsterte er und ging, um nach seinem Tiger Anil
zu sehen.
Doch der
Gott des Windes war fort, der Käfig leer.
IV
Wie von Ferrante geraten, mied Emilia die Straße. Sie folgte dem
Verlauf des Waldsaumes in Richtung Osten und stieß auf einen alten Weg, der
diese Bezeichnung kaum verdiente. Über viele natürliche Hindernisse herum wand
er sich langsam zur alten Römerstraße hinab. Trotz der sternenklaren Nacht war
es mühsam, den Pfad zwischen Felsen und Gestrüpp zu erkennen. Zudem wurde er
zunehmend abschüssig. Eine halbe Stunde später geschah es: Eine versteckte
Mulde wurde ihrer Stute Ambra zum Verhängnis. Das Pferd strauchelte. Angstvoll
wiehernd schlug es mit dem Kopf um sich, im verzweifelten Versuch, festen
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