Das Hexenkreuz
ersten
Walderdbeeren zurück. Auch der übrige Tag verlief ohne Zwischenfälle - von
gelegentlichem Magenknurren abgesehen.
Am späten
Nachmittag versperrte ihnen der kleine Fluss Fosso Fioio den Weg. Er war durch
die frühe Schneeschmelze angeschwollen. Emilia und Serafina folgten zwei
Stunden seinem Lauf, bis sie eine Stelle gefunden hatten, an der sie die
Überquerung wagen konnten. Trotzdem floss das Wasser sehr schnell. Maultier und
Stute weigerten sich zunächst, in den Fluss zu steigen. Mit vereinten Kräften schafften
sie beide hinüber. Am Ende lagen die Freundinnen bis auf die Knochen durchnässt
und völlig ausgepumpt am anderen Ufer.
„Wir liegen
hier wie auf dem Präsentierteller“, mahnte Emilia nach wenigen Minuten. „Vor
Einbruch der Dunkelheit sollten wir Tagliacozzo erreichen. Dort können wir uns
mit neuem Proviant versorgen.“ Sie scheuchten die Tiere hoch und beeilten sich
den Schutz der naheliegenden Felsen zu erreichen.
Später lagen
sie auf einem Hügel und beobachteten das Städtchen. Überall in den Gassen
herrschte reger Betrieb. Das milde Wetter trieb alle Welt auf die Strasse.
„Willst du
dich wirklich da hinunter wagen? Wäre es nicht besser, ich erlegte uns etwas
Wild? Was ist, wenn dich jemand erkennt?“, wandte Emilia ein.
„Wer sollte
mich schon erkennen? Ich war noch nie hier.“ Während sie sprach, hatte Serafina
Jacke und Hose abgestreift und schlüpfte in ein Kleid. Sie richtete ihr Haar
und verbarg es unter einer sittsamen Haube. Beide Kleidungsstücke hatte sie aus
ihrer Satteltasche hervorgezaubert. Die Verwandlung war verblüffend. Emilia
starrte ihre Freundin mit offenem Mund an. „Du siehst aus wie das Dienstmädchen
feiner Leute.“
„Genau dies
habe ich beabsichtigt.“ Serafina musterte den Himmel. „Wir werden noch ungefähr
zwei Stunden Tageslicht haben. Ich erstehe zunächst einen Korb. Jeder, der mich
sieht, wird denken, dass ich für meine Herrschaft einkaufe. Warte hier auf
mich.“ Sie schlüpfte davon, ohne Emilia die Gelegenheit für eine Mahnung oder
einen Abschiedsgruß zu lassen.
Das Warten
wurde Emilia lang. Die Minuten klebten an ihr wie das Harz der Bäume. Mehrmals
war sie versucht, aus ihrem Versteck hervorzukriechen und nach Serafina
Ausschau zu halten. Sie streckte sich schließlich aus, schloss die Augen und
dachte an Santo Stefano. Sie schlief darüber ein und träumte von würzigem Käse
und fetter Wurst. Der Duft lag derart realistisch in ihrer Nase, dass sie davon
erwachte. Jemand war da! Sie fuhr hoch und prallte gegen etwas, das ihr auf die
Brust fiel und weiter in ihren Schoss rollte. Es entpuppte sich als Salami. Serafina
kniete mit einem diebischen Grinsen neben ihr und hatte ihr die Wurst direkt unter
die Nase gehalten. Mit der anderen Hand bot sie ihr eine dicke Scheibe luftigen
Brotes feil.
„Das ist ja
eine feine Methode mich zu wecken. Sag du bloß noch einmal Kindskopf zu mir“,
grummelte Emilia und griff nach dem Brot. Herzhaft grub sie ihre Zähne hinein.
„Ich sterbe vor Hunger“, sagte sie mit Inbrunst.
„Immer
gerne“, erwiderte Serafina. Sie nahm ihr Messer und schnitt für ihre Freundin
ein tüchtiges Stück von der Salami ab. Hinter ihrer Schulter tauchten
einträchtig die Köpfe der Stute und des Maultiers auf. Serafina langte in den
Korb und fütterte beiden einen Apfel. Neben den Äpfeln enthielt ihr prall
gefüllter Korb Rüben, getrocknete Feigen, zwei große Laibe Brot und ein Dutzend
kleiner Ziegenkäse. Aus einem Tütchen spitzte goldbraun gebranntes Mandelgebäck
hervor und in ein kariertes Tuch war etwas eingewickelt, das einen absolut
köstlichen Duft verströmte. Emilia beugte sich schnuppernd darüber: „Was ist
das?“
„Pasteten.
Für dich. Sie sind mit Lammfleisch gefüllt. Hier…“ Sie löste das Tuch und
reichte ihr eine der handlichen, noch warmen Teigtaschen.
„Mmh,
köstlich!“ Heißhungrig verschlang Emilia zwei davon und leckte sich dann den
würzigen Fleischsaft von den Fingern. „Ehrlich! Dir entgeht da etwas,
Serafina.“
„Du weißt
doch, dass ich mich nicht von Tierfleisch ernähre“, wehrte Serafina ab.
„Schon, ich
frage mich nur, wie du ansonsten bei Kräften bleiben willst. Diese Wanderung
verlangt uns alles ab.“
„Und ich
frage mich, wo du diese ganze Nahrung immer hinsteckst“, seufzte Serafina.
Kopfschüttelnd beobachtete sie, wie Emilia den Pasteten ein weiteres großes
Stück Salami mit Brot folgen ließ, während sie auf der Suche nach
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