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Das Hexenkreuz

Das Hexenkreuz

Titel: Das Hexenkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Muenzer
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tatsächlich immer die Wahrheit
sagen. Doch erlaubt, mein kleiner Marcellino", sie wandte sich nun direkt
an ihn, "Eurer Weisheit noch einen kleinen Denkanstoß hinzuzufügen. Wie
alles andere im Leben, folgt auch die Wahrheit ihrem eigenen Gesetz. Man kann
die Fackel der Wahrheit nicht durch die Menge tragen, ohne den einen oder
anderen Bart anzusengen. Darum ist es manchmal angebracht, zu schweigen.
Verstehst du, was ich damit sagen möchte?"
    Marcellino
schob die Unterlippe vor und dachte über das Gehörte nach. Seine Augen
funkelten vor wacher Intelligenz. Zwischenzeitlich hatten alle das Essen
eingestellt und harrten gespannt seiner Antwort. Schließlich meinte er:
"Ich glaube, ich weiß, was Ihr meint, junger Herr. Wenn ich Luigi, dem
Esel sage, dass er ein furchtbar hässliches Tier ist, so entspräche das zwar
der Wahrheit, aber es würde ihm weh tun. Richtig?", dozierte er voller
Eifer.
    "Richtig.
Du bist ein kluger Junge! Es gilt daher stets die Wahrheit gegenüber dem möglichen
Schaden abzuwägen. Denkt darüber nach, Master Marcellino, und zieht gerne Euren
weisen Großvater zu Rate", erklärte sie ernst. Ihr gefiel das kleine
Bürschchen, wie ihr überhaupt die gesamte Familie gefiel. Diese rechtschaffenen
Leute führten ein einfaches und genügsames Leben und standen uneingeschränkt
füreinander ein.
    Filippo
berichtete nun, wie er und Cesarion über die Brücke geritten waren, ohne dass
sich einer der herzoglichen Soldaten hatte blicken lassen. Trotzdem waren sie da
gewesen. Dieses Wissen steuerte Marcello bei. Auf dem Rückweg vom Feld hatte er
nämlich seinen Freund, den Müller getroffen. Dieser hatte ihm gesteckt, dass
sich eine Gruppe Soldaten bei ihm einquartiert hätte. Von der Mühle aus konnte
man die Brücke überwachen, ohne selbst gesehen zu werden.
    „Und nun zum
Wichtigsten, kleiner Filippo“, verkündete Emilia feierlich. „Du hast uns gut
geführt. Empfange nun deinen Lohn.“ Emilia zog ein Goldstück aus ihrer Tasche.
Dies hatte sie zuvor mit Serafina abgesprochen. In Anbetracht des wertvollen Dienstes,
den ihnen Filippo erwiesen hatte, war die hohe Belohnung durchaus angebracht.
Alle bekamen große Augen, doch die von Filippo wurden so groß wie Spiegeleier.
Ehrfürchtig streckte er seine kleine braune Hand aus und berührte das glänzende
Gold. Mit dieser fürstlichen Belohnung hatte er sichtlich nicht gerechnet. Er
war reich! Dafür konnte er sich eine eigene Herde Schafe kaufen oder ein
Ochsengespann oder einen eigenen Acker…
    „Für mich?“,
flüsterte er und schluckte hörbar.
    „Natürlich.
Das war unser Handel. Wir sollten dir zahlen, was wir selbst für angemessen
hielten. Nun, wir halten dies durchaus für angemessen. Sind wir also quitt?“
    „Ja“, riefen
Filippo und Cesarion und sahen sich gegenseitig mit leuchtenden Augen an. Die
Golddukate verschwand zusammen mit Filippos Faust hurtig in seiner Hosentasche.
    Danach
besprachen sie mit ihren neuen Freunden ihren Plan. Serafina hatte unter den
bewundernden Blicken der gesamten Familie die Karte ihrer Mutter hervorgeholt,
die sich im gleichen Versteck befunden hatte wie die Geldkatze. Sie breitete
sie vor sich auf dem Holztisch aus. Alle Köpfe neigten sich darüber. Mit dem
Zeigefinger beschrieb Serafina ihre bisherige Route, fuhr weiter in
nordwestlicher Richtung und hielt auf der Stadt Rom inne. Marcello erbot sich
spontan, mit Hilfe seines Freundes des Müllers, ein falsches Gerücht zu
streuen. Sobald die Soldaten misstrauisch würden und Anstalten machten,
ebenfalls die nordwestliche Richtung einzuschlagen, würden sie verlautbaren,
einen jungen Reisenden auf den die Beschreibung passte, auf der nach Süden
führenden Straße Richtung Bellagra gesichtet zu haben.
    „Warum geht
Ihr dieses zusätzliche Risiko für uns ein, Marcello? Ihr habt uns bereits genug
geholfen. Ihr müsst das nicht tun“, bedeutete Emilia ihm.
    Marcello und
Filippo sahen sich ernst an. Marcello nickte seinem jüngeren Bruder zu. „Du kannst
es ihnen erzählen.“
    Filippo
senkte die Augen und fixierte einen Punkt auf der Karte. Mit gepresster Stimme,
als wäre seine Kehle plötzlich zu eng für Worte geworden, begann er: „Wir
hatten noch einen Bruder, Antonino, wisst Ihr? Er war drei Jahre älter als ich.
Letztes Jahr waren wir auf der Ebene mit Vaters Herde unterwegs. Soldaten des
Herzogs kamen vorbei. Ihnen gefiel Antonino. Sie haben ihm seine Kleider
weggenommen und ihn begutachtet wie ein Stück Vieh. Und dann…“ Seine

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