Das Hexenkreuz
falls uns die Soldaten des Herzogs nicht einen Strich durch die
Rechnung machen.“ Serafina konnte nicht umhin, ihre Bedenken zu äußern.
„Die
Soldaten des Herzogs? Aber ab hier müsstet Ihr vor ihnen sicher sein“,
entgegnete Filippo bestimmt.
Serafina
setzte soeben an, ihn zu fragen, was ihn zu dieser Annahme verleitete, als
Emilia ihr zuvorkam. „Aber natürlich. Der Junge hat Recht! Wir befinden uns
nicht mehr in den Abruzzen, sondern im Kirchenstaat Rom. Der Herzog der
Abruzzen hat hier keinerlei Machtbefugnis! Wir haben es geschafft, Serafina,
wir haben es tatsächlich geschafft. Wir sind dem Herzog entwischt! Wir sind
frei!“, rief Emilia begeistert und riss die Arme in die Luft. Serafina, weit
davon entfernt, Emilias Enthusiasmus zu teilen, hielt sich angesichts deren
ausgelassenen Jubels zurück. Filippo hingegen freute sich mit Emilia und hüpfte
lachend um sie herum. Der Augenblick des Abschieds war gekommen. Nacheinander
umarmten sie Filippo. Sie hatten das pfiffige Kerlchen in der kurzen Zeit
liebgewonnen. Spontan boten sie ihm an, bis zum Morgen zu bleiben und sich
auszuruhen. Doch den kleinen Hirten zog es nach Hause. Sie sahen ihm nach, bis
die nächste Wegbiegung ihn verschluckt hatte.
V
Bei Anbruch des Tages zogen sie weiter. Paridi fühlte sich
erneut zum Anführer berufen und setzte sich an Filippos statt an die Spitze. Auf
einer Hügelkuppe hielten sie inne. „Sieh! Dort beginnt die römische Campagna“,
erklärte Serafina und zeigte auf die endlose Weite, wo sich das römische
Vorland ausbreitete. Die Campagna war eine perfekte Synthese aus mit Eichen,
Pinien und Zypressen bewachsenen Hügeln und steppenartiger Landschaft, in der
sich das silbrige Grün uralter Olivenbäume verlor. Riesige Schafherden weideten
als weiße Tupfen zwischen malerischen, grün überwucherten Ruinen und
geborstenen Aquädukten. Eine leichte Brise hatte sich erhoben und strich über
sie hinweg.
„Igitt, was
stinkt denn hier so furchtbar?“, stöhnte Emilia. Sie rümpfte ihre Stupsnase und
richtete sich in den Steigbügeln auf, als könnte sie dadurch den Geruch sehen.
„Das, meine
Liebe, sind die berühmten heißen Quellen der Bagni di Tivoli. Was du riechst,
ist der Schwefel. Ein Bad in diesen Quellen soll der Gesundheit sehr zuträglich
sein“, entgegnete Serafina.
„Gesund?
Vielleicht - vorausgesetzt man geht nicht vorher an dem Gestank zugrunde ... Puh,
als hätte jemand mit faulen Eiern geworfen.“
Auf der Via
Tiburtina Valeria herrschte reger Verkehr. Je weiter sie Tivoli hinter sich
ließen und sich Rom näherten, umso mehr Menschen begegneten ihnen. Etliche
leere Karren, von Bauersleuten gezogen, kamen ihnen entgegen. Die besser
Gestellten unter ihnen lenkten Ochsen- oder Maultiergespanne. Sie kehrten von
den Märkten Roms, auf denen sie die Früchte ihrer Arbeit feilgeboten hatten,
auf ihre verstreuten Gehöfte zurück. Sie überholten luxuriöse Sänften und mit
Staub bedeckte Pilger, die, vereinzelt oder in Gruppen, auf ihre Stäbe
gestützt, Rom entgegenstrebten, um ihre Gelübde einzulösen.
Stunden
später ritten sie eine von Pinien beschattete Allee entlang. An deren Ende
empfing sie gleißendes Sonnenlicht, so dass sie für einen Augenblick blind
waren. Als ihre Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, erwuchs sie in der
Ferne plötzlich vor ihnen: Rom, Caput Mundi! Die Heilige, die Ewige ... Das
einstige Reich der Cäsaren, Mittelpunkt der Christenheit und Ziel der
Sehnsüchte von so vielen. Eingebettet in ihre sieben Hügel bot sich die Stadt
Rom ihren Blicken dar. Sie hatten es geschafft!
„Sieh nur, Serafina!
Rom empfängt uns ganz in Gold getaucht!“, rief Emilia überwältigt.
Tatsächlich
schickte sich die Abendsonne eben an, über die Dächer Roms herabzusteigen. Ihre
letzten Strahlen streiften die Türme der zahllosen Kirchen und hüllten die
Stadt in ein beinahe überirdisch leuchtendes Licht. Rom hieß sie in all seiner
Schönheit willkommen.
„Heute
werden wir nicht mehr in Rom einziehen“, meinte Emilia. „Was meinst du? Sollen
wir uns eine anständige Herberge suchen? Erstens habe ich Hunger und zweitens
benötige ich dringend ein Bad. So verschmutzt wie ich bin, möchte ich Emanuele
ungern gegenübertreten. Was hältst du davon, endlich wieder eine Nacht in einem
richtigen Bett zu verbringen?“
„Sehr viel.
Gegen heißes Wasser, eine anständige Mahlzeit und ein Bett ist wahrlich nichts
einzuwenden“, pflichtete ihr Serafina von ganzem Herzen
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