Das Hexenkreuz
Ort. Endlich drang Serafinas Bemerkung in ihr Bewusstsein.
„Was hast du gesagt?“
„Bist du
denn mit Blindheit geschlagen? Wie kann dir bloß entgangen sein Emilia, dass
der Mann das Kleid eines Priesters trug? Ich wette, er ist Jesuit, wie dein
Bruder.“
Der Wirt hatte ihnen nicht zu viel versprochen. Die Langusten
schmeckten köstlich: Das Fleisch war zart und aromatisch und zerging ihnen
förmlich auf der Zunge. Gierig tauchten sie das duftige Brot in die Tunke aus
Olivenöl und Knoblauch. Der Wirt hatte sichtlich seine Freude an seinen
hungrigen Gästen. Angenehm gesättigt streckten sie ihre Beine aus, lehnten sich
zurück und nippten zufrieden an ihrem Wein. Emilia blickte sich mehrmals
verstohlen in der Schankstube um, doch sie konnte den jungen Mann nirgendwo
entdecken, auch nicht am nächsten Morgen bei ihrer Abreise. Sie fühlte sich seltsam
enttäuscht, als hätte sie ein Versprechen empfangen, das nicht eingehalten
worden war.
Nach einem
Frühstück aus frischer Milch und noch warmen Blätterteighörnchen, traten sie
die letzte Etappe ihrer Reise an.
Der Wirt
empfahl ihnen einen kleinen Umweg. Sie sollten Rom nicht über die Via
Tiburtina, sondern unbedingt über die frühere Via Appia Antica, dem Hauptzugang
von Rom, betreten. Die beiden Freundinnen beschlossen, seinem Rat zu folgen. Je
mehr sie in der Menge untertauchen konnten, umso besser. Die Via Appia wurde
bereits im Altertum als Königin der Straßen bezeichnet. Auf Betreiben des
Konsuls Claudius Appius 312 v. Chr. erbaut, war sie tatsächlich die erste der
großen römischen Straßen gewesen. Sie verband Rom mit Capua und Tarent und
endete in Brindisi. Heerscharen von Legionen waren auf ihr marschiert, auf dem
Weg ein Weltreich zu errichten.
Zwei Stunden
später, nach einem gemächlichen Ritt durch eine Landschaft geprägt von stiller
Würde, näherten sie sich der Porta San Sebastiano. Die Straße begann erneut
sanft anzusteigen. Sie folgten weiter den alten, teils brüchigen und mit Gras
und Unkraut überwucherten Pflastersteinen der Via Appia. Überreste eingestürzter
Bauwerke, verschüttete Katakomben und die Ruinen von Grabmonumenten aus ferner
Zeit, säumten ihren Weg. Alles war umschlungen von frischem Grün, das sich
nicht um die Vergangenheit scherte und den Stätten dadurch etwas Verwunschenes
verlieh. Besonders das runde Grabmal der Cecilia Metella rührte an ihr Herz.
Sie stiegen ab, um es näher zu betrachten. Cecilia war die vielgeliebte Gattin
des kaiserlichen Feldherrn Crassus des Jüngeren gewesen, der einst unter dem
großen Augustus diente. Sie starb in der Blüte ihrer Schönheit. All jene
Zeugnisse vergangener Größe, lösten bei Emilia ein Gefühl der Wehmut aus, als
halle das Klagen der Ruinen in ihrer Seele wieder.
Sie konnten
bereits das Stadttor von Rom vor sich erkennen, als sich plötzlich der Himmel
verdunkelte und sintflutartiger Regen auf sie niederging. Nass wie Katzen
erreichten sie den Drususbogen. Gott sei Dank hielt der Regen nicht lange an
und bald zwängte sich wieder die Sonne zwischen den Wolken hindurch. Sie
folgten weiter dem Verlauf der Via Appia. Bald herrschte drangvolle Enge auf
der Straße und es roch nach Exkrementen. Rom stinkt , dachte Emilia
enttäuscht. Sie war die Weite und Frische der Berge gewohnt und der faulige
Gestank drohte sie zu überwältigen. Sie kamen nur quälend langsam voran.
Ständig drängten sich zerlumpte Bettler an ihre Reittiere und schmutzige Weiber
hielten ihnen skrofulöse Säuglinge entgegen, die vermutlich nicht ihre eigenen
waren. Dann wieder versprachen zwielichtige Gestalten ihnen unvergleichliche
Genüsse durch die schönsten Frauen Roms. Nur eine Dukate! Betroffen
dachte Emilia, wie weit Rom davon entfernt schien, sich als die von antiken
Dichtern gepriesene, schönste Stadt der Welt zu präsentieren.
Ab der Via
della Circo Massimo wurde es ein wenig erträglicher. Hier, vor den Toren des
Vatikans, offenbarten sich Emilia die neueren Schätze Roms. Sie überquerten den
Tiber auf der Ponte Vecchia und bogen in die schmalen Wege des
mittelalterlichen Borgos ein, der dem Vatikan vorgelagert war. Im 9.
Jahrhundert hatte Papst Leo IV. der Heilige die nach ihm benannte Stadt zum
Schutz der Pilger auf dem antiken Ager Vaticanus anlegen lassen. Sie erstreckte
sich vom ausgebauten Mausoleum des Kaisers Hadrian bis hin zum Petersdom. Und
dort, irgendwo innerhalb des Borgos, war Emanuele zu finden. Er studierte als
Novize am Collegio Romano, das sein
Weitere Kostenlose Bücher