Das Hexenkreuz
müssen, dass ich dir nichts vormachen kann“, stöhnte Emilia. „Also gut,
Francesco hat von mir nichts zu befürchten. Im Grunde ist mir selbst klar, dass
er für mich unerreichbar ist. Komm, lass uns die Kleider anprobieren.“
Ohne zu zögern
griff sie nach der auffälligsten unter den Roben, einem Traum in Karmesinrot.
Serafina betrachtete Emilias schnelles Einlenken mit Argwohn. Sie beschloss
jedoch im Augenblick nicht weiter in sie zu dringen, sondern sich vorerst auf
die Rolle der stillen Beobachterin zu beschränken.
Emilia
testete das Kleid vor dem Ankleidespiegel. Winzige schwarze Perlen zierten den
tiefen Ausschnitt und die Taille. Mit dem Entzücken von Frauen, die wochenlang
in verschwitzter Männerkleidung gesteckt hatten, schwelgten sie in den
kostbaren Stoffen. Am Ende entschied sich Emilia gegen das Rote. Das Kleid
flößte ihr ein Gefühl von Unangemessenheit ein. Seine Pracht eignete sich eher
für einen Ball und weniger für ein Abendessen im Kreis der Familie. Sie wählte
daher ein Kleid aus kornblumenblauer Seide, dessen Farbe exakt dem Ton ihrer
Augen entsprach. Serafina schlüpfte in ein Samtkleid in der Farbe von reifem
Korn. Die jungen Frauen überlegten eben, was sie mit ihrem Haar anstellen
sollten, als die Tür zu ihrem Appartement schwungvoll aufgerissen wurde. Auf
der Schwelle stand eine kleine zierliche Frau, die geradezu vor Energie
vibrierte. Sie trug ein exquisites Kleid aus grünem Samt und Handschuhe aus
schwarzem Leder. Den kastanienroten Schopf zierte ein winziger Dreispitz, auf
dem eine Pfauenfeder wippte. Sie stürzte sich sofort auf Emilia und umarmte sie
stürmisch. „Herrlich, da seid Ihr ja endlich! Ich könnte meine Feder aufessen,
dass ich ausgerechnet heute Nachmittag nicht zu Hause weilte. Dabei tue ich
nichts anderes, als seit Tagen auf Euch zu warten, ehrlich. Schuld ist dieser
musikalische Wunderknabe aus dem Heiligen Römischen Reich, dessen Begabung seit
kurzem in aller Munde ist. Verzeiht Ihr mir? Ich musste ihn heute unbedingt
spielen hören. Ein hübscher Knabe und seine Begabung ist wirklich göttlich! Ich
spiele selbst das Pianoforte, wisst Ihr, und man sagt, sogar ganz gut. Stellt
Euch vor, es ist mir gelungen, ihn zu sprechen. Er kommt, er kommt tatsächlich
heute Abend hierher, zusammen mit seinem Vater! Oh, ich bin ja so aufgeregt. Es
heißt, dass der Papst ihn zum Ritter vom Goldenen Sporn ernennen wird. Den
Sohn, natürlich, nicht den Vater. Oh, es ist so schön, dass Ihr eingetroffen
seid! Wir werden so viel Spaß haben.“ Sie klatschte begeistert in die Hände.
Als nächstes erspähte sie die Kleider auf dem Bett. „Oh, ich sehe, dass man
Euch schon eine Auswahl meiner Roben gebracht hat. Ihr seht furchtbar entzückend
darin aus, meine Liebe, wirklich. Das Blaue steht Euch viel besser als mir
selbst.“ So ging es noch eine ganze Weile weiter. Sie schien keine Luft holen
zu müssen. Emilia hingegen fühlte sich durch diesen weiblichen Wirbelsturm bald
etwas atemlos.
„Aber, wer
seid Ihr?“, fragte sie und nutzte damit die erste Lücke zwischen zwei Sätzen,
die sich auftat.
„Oh,
Verzeihung, wo habe ich nur meine Manieren gelassen. Aber natürlich, Ihr könnt
mich ja gar nicht kennen. Obwohl ich selbst Euch schon sehr gut zu kennen
glaube. Emanuele hat mir derart viele unglaubliche Geschichten aus Eurer
Kindheit erzählt. Stimmt es, Ihr habt tatsächlich Erdgeister und Feen
beobachtet?“ Sie blickte Emilia aus großen braunen Augen erwartungsvoll an. Ihr
Charme war unwiderstehlich. Emilia schätzte sie auf vierzehn, höchstens fünfzehn
Jahre. Sie war nicht sonderlich hübsch nach den geltenden Maßstäben, hatte
jedoch eine zarte reine Haut, eine süße Stupsnase und strahlte diese herrliche
unbeschwerte Lebensfreude aus, die sie mit einem ganz eigenen Zauber umgab.
„Ich sehe,
Ihr habt Euch bereits miteinander bekannt gemacht?“, fragte Emanuele. Er hatte
von ihnen unbemerkt den Raum betreten.
„Äh… Nun ja…
Nein… Ich meine, wir waren gerade dabei“, stotterte das junge Mädchen und
schlug rasch ihre Augen nieder. Ihr Gesicht nahm die Farbe reifer Tomaten an.
Ihre Verlegenheit entlockte Serafina ein kleines Lächeln. Das Mädchen schien in
Emanuele verschossen. Plötzlich riss sie ihre Augen weit auf und rief: „Meiner
Treu, Pater di Stefano! Euer Gesicht…! Was ist Euch geschehen?“
Emanuele
betastete seine geschwollene Nase. „Ein kleines Missverständnis. Aber ich
scheine mitten in Eure Bekanntmachung geplatzt zu
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