Das Hexenkreuz
gefährlich weit aus dem Fenster lehnte und mit einer weißen Decke wedelte,
als wollte sie ihre Kapitulation signalisieren. Sie schien etwas zu rufen, doch
ihre Stimme war zu fern. Sein Instinkt verriet ihm, dass sie sehr schön sein
musste. Darum würde er ihr selbstverständlich verzeihen. Er nahm seinen
tropfnassen Hut ab und schwenkte ihn grüßend in ihre Richtung. „Wer ist das,
mein Lieber?“, sagte eine Frau neben ihm. Sie trug eine turmhohe Perücke und schlug
ihm dabei spielerisch mit einem geschlossenen Fächer auf die Schulter. „Vor
allem, warum wirft sie mit Vasen nach Euch? Handelt es sich bei dieser Dame
womöglich um eine von Euch enttäuschte Verflossene?“, erkundigte sie sich
lauernd. Bei ihr handelte sich um seine derzeitige Geliebte, die Marquesa
Gabriella Pitti. Eine sehr anspruchsvolle und eifersüchtige Person. Darum
beeilte er sich ihr zu versichern: „Ich habe nicht den blassesten Schimmer,
meine Teuerste. Ihr wisst doch, dass ich allein Augen für Euch habe.“ Er nahm
die Hand der Marquesa und küsste galant ihre Fingerspitzen. „Sicherlich handelt
es sich nur um das Missgeschick einer Bediensteten“, fuhr der Mann fort und
wedelte verächtlich mit der Hand. Dabei hatte dieser Vorfall längt seine
Neugierde geweckt. Aus Erfahrung wusste er, dass er seine Vermutung besser
nicht mit der Marquesa teilte. Auch die anderen Gäste schenkten der Sache keine
weitere Aufmerksamkeit. Alles drängte nun der breiten Freitreppe zu, auf der
ein höchst elegantes Paar in großem Staat erschienen war. „Kommt, meine Schöne.
Lasst uns gehen und unsere Gastgeber begrüßen.“ Er reichte ihr die Hand. An der
seinen funkelte ein riesiger Diamant. Das Licht brach sich in ihm und sandte
einen Lichtblitz in den Himmel. Emilia konnte nicht fassen, dass all diese
Menschen sich nicht im Geringsten für ihr Schicksal interessierten. Dafür
erinnerte sie das Blitzen an den Saphir. Im selben Moment traf sie die
Erkenntnis: Sie war erneut völlig mittellos! Sie taumelte, wie von einem Schuss
getroffen. Sie hatte die beiden Börsen und auch den Saphir am Leib getragen,
als sie sich an ihrem letzten Morgen in Freiheit zum Frühstück begeben hatte.
Nicht nur, dass man sie ihrer Freiheit beraubt hatte, man hatte sie darüber
hinaus bestohlen! Auch Serafinas silberne Kette mit dem Kreuz, das sie
beschützen sollte, war weg. Emilias Zorn über diese Gemeinheit kannte keine
Grenzen.
Und man ignorierte
sie! Sie raste durch das Zimmer und schnappte sich alles, was sich irgendwie
loslösen und zum Fenster schleppen ließ. Kerzenleuchter, Schalen, die
Utensilien vom Frisiertisch, darunter eine silberne Puderdose, eine perfekt
ondulierte Perücke, ein römischer Lederschemel, sogar die beiden zierlichen
Nachttischchen samt Lampen. Einen Gegenstand nach dem anderen beförderte sie
aus dem Fenster. Die Puderdose öffnete sich und ihr Inhalt segelte als
parfümierte Wolke davon. Sie legte sich über einen Vierspänner, der soeben in
den Hof bog. Emilia hatte diesen zu spät gesehen, keinesfalls hatte es in ihrer
Absicht gelegen, unschuldige Pferde zu verletzten. Zu ihrer Beruhigung konnte
sie verfolgen, wie die Dose den Kutscher an der Schulter traf. Selbst schuld,
wenn er für diese Gaunerbande arbeitete!
Sie
beschäftigte sich eben damit, Augenmaß an dem bronzenen Spiegel zu nehmen und
abzuschätzen, ob er durch das Fenster passen würde, als sich ein Schlüssel im
Schloss drehte. Na, also, dachte sie, geht doch. Mit beiden Händen strich sie
über den Stoff ihres improvisierten Kleides, als müsste sie letzte Falten
glätten. In hoheitsvoller Haltung erwartete sie dann den Besuch.
Die Tür
schwang langsam auf und in ihrem Rahmen zeichnete sich die schmächtige Gestalt
einer Nonne ab. Sie hatte ein schmales blasses Gesicht und riesige braune Augen
und schien selbst kaum älter als Emilia zu sein.
Ihr Anblick
war sicherlich der letzte, den Emilia erwartet hatte. Vielleicht erging es der
jungen Nonne ähnlich, jedenfalls starrten sich die beiden jungen Frauen
sekundenlang verblüfft an. Die Nonne löste den Bann, indem sie unvermittelt in
ein herzhaftes Gelächter ausbrach. Tatsächlich schien sie vor Lachen kaum noch
Luft zu bekommen. Konsterniert verfolgte Emilia ihr unverständliches Benehmen
und fragte sich gleichzeitig, ob dieser Palazzo ausschließlich Verrückte
beherbergte? Mit in die Hüften gestemmten Händen baute sich Emilia vor ihr auf:
„Wollt Ihr mir vielleicht verraten, ehrwürdige Schwester, was
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