Das Hexenkreuz
wie ein sperriges Paket die Treppe
hinab. Emilia zeterte und strampelte, doch der Mann schien ihre Tritte gegen
seine Schienbeine überhaupt nicht zu spüren - im Gegenteil, sie verletzte sich
ihre nackten Fersen an ihm. Sie erreichte nur, dass sich eine kräftige Pranke
auf ihren Mund legte. Emilia bedankte sich für die Einladung und biss tüchtig
zu, bis sie Blut schmeckte. Der Bedienstete fluchte zwar leise, lockerte jedoch
nicht seinen eisernen Griff. Kaum einen Schritt hinter sich hörte Emilia den
Herzog laut auflachen. Schön, dass er sich so prächtig auf ihre Kosten
amüsierte! Die Herzoginmutter war ihnen vorausgeschritten. Die spitz
auslaufende Schleppe ihres grünen Kleides kroch wie eine Viper die Stufen vor
ihr hinab. Trotz ihrer Lage mühte sich Emilia einen Eindruck von ihrer Umgebung
zu erhalten. Der Palazzo erschien ihr riesig, viel größer als jener der
Colonnas in Rom. Nachdem sie eine weitere Treppe hinter sich gelassen und die
blasierten Mienen einer goldgerahmten Reihe verblichener Pescaras passiert
hatten, stieß die Herzoginmutter eine Flügeltür auf. Der Raum ähnelte dem
Appartement, das Emilia im Palazzo Colonna bewohnt hatte – jedoch schien es
dieses an goldenen Akzenten bei weitem übertrumpfen zu wollen. Zwei
Dienstmädchen von kräftiger Statur machten sich in dem Zimmer zu schaffen.
Bertholdo setzte
Emilia vor dem Bett ab. Nachdem man sie zuvor auf geradezu beleidigende Weise
ignoriert hatte, kam Emilia nun in den zweifelhaften Genuss des ungeteilten
Interesses aller Anwesenden. Schließlich glaubte sie einer kollektiven Kraft zu
erliegen, die sie zwang, sich dem Bett zuzuwenden. Tatsächlich entdeckte sie
darauf etwas, das bei ihr sämtliche Alarmglocken in Marsch setzte: Eine weiße, mit
Perlen und Diamanten überladene Robe aus Taft lag ausgebreitet auf dem
scharlachroten Samt des Bettüberwurfs.
Emilia
schloss für einen Moment ihre Lider. Kurz übermannte sie die irrwitzige Vision
einer geschlachteten weißen Taube, deren Blut sich über das Bett ergoss. Sie
zwang sich die Augen wieder zu öffnen. Keinesfalls wollte sie diesem arroganten
Weib Beatrice ein Bild von Schwäche bieten. Ihr Blick blieb auf dem Schleier
haften - ein durchsichtiges Gespinst, der auf einer Truhe am Fuße des Bettes
lag. Dieses eindeutige Symbol der Bestimmung des Kleides ließ heiligen Zorn in
ihr hochkochen. „Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, dass ich Euch jemals
heiraten werde!“, schleuderte sie dem Herzog wütend entgegen. Sie schnappte sich
den filigranen Schleier von der Truhe und zerriss ihn vor seinen Augen. Die
beiden Dienstmädchen schnappten hörbar nach Luft. Und der Herzog? Seine
Mundwinkel zuckten. Emilia stemmte sich dem Donnerwetter entgegen. Doch
wiederum fiel seine Reaktion überraschend anders aus: Er brach erneut in
schallendes Gelächter aus. Emilia fühlte sich wie ein Segelschiff, dass bei
voller Fahrt von einer Flaute gestoppt worden war. Dies war heute schon die
zweite Person, die bei ihrem Anblick in hemmungslose Heiterkeit verfiel.
Jedermann schien sich ungefragt auf ihre Kosten zu vergnügen! Verständlicherweise
konnte Emilia der Situation nicht den Hauch von Komik abgewinnen. Sie sind
alle verrückt! Ich bin unter lauter Verrückte geraten…, dachte sie
in einem Anflug von Panik. Das überwältigende Gefühl, mit ihrer Wut ständig ins
Leere zu laufen, jagte eine Welle der Schwäche durch ihren Körper. Sie
widerstand nur knapp dem Impuls auf die Truhe zu sinken. Bleib ruhig, du musst
ruhig bleiben! Endlich zog der Herzog ein Taschentuch aus seinem Ärmel und betupfte
sich demonstrativ die Augen. Er trat nun nah an Emilia heran. Da er ein gutes
Stück über ihr aufragte, senkte er seinen Kopf bis sich ihre Nasenspitzen
beinahe berührten. Emilias Stolz bewahrte sie davor, zurückzuweichen.
Ausführlich erforschte der Herzog ihr Gesicht und tauchte tief in ihre Augen
ein.
Aus dieser
Distanz konnte Emilia nicht umhin, die Augenfarbe des Herzogs zu registrieren.
Seine Iris war von einem hellen Grau, von der sich das Schwarz der Pupille
deutlich abhob. Es verlieh seinem Blick eine besondere Intensität. Sie
versuchte darin zu lesen, doch sein Ausdruck gab ihr Rätsel auf. Seine Augen
erschienen ihr wie eine verschlossene Türe, hinter der er seine Geheimnisse zu
wahren wusste. Der Herzog war ein Mann, der sich nicht in die Karten sehen
lassen wollte. Sein Ausdruck erinnerte sie an jemanden. Dann fiel es ihr ein:
Emanueles Freund, Francesco Colonna! Auch er wahrte
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