Das Hexenmal: Roman (German Edition)
gezwirbelten Schnurrbartenden wackelten. Vergnügt goss er aus einem Krug roten Wein in seinen Glaspokal und reichte diesen seiner Frau. Sie trank, und als sie ihm den Pokal zurückgab, fragte sie: »Was sind das für Dokumente, die du mitten in der Nacht studierst. Haben sie etwas mit dem Mädchen zu tun?«
»Wie kommst du darauf, meine Liebe? Ich kenne das Mädchen ebenso wenig wie du.«
Sie erhob sich von seinem Schoß und nahm im Stuhl neben ihm Platz. »Ich frage nur, weil du sie dir ausgerechnet in dieser Nacht ansiehst.«
Im selben Moment öffnete sich die Tür, und Lambrecht erschien auf der Schwelle.
»Oh!«, sagte er und wollte gerade wieder gehen, als Adolph Ernst ihn bat zu bleiben.
»Ich kann nicht schlafen …«, entschuldigte sich der Pfarrer und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Adolph füllte den Pokal erneut mit Wein und reichte ihn sogleich seinem Freund.
»Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich hier sitze.«
»Ja, auch ich fand keine Ruhe. Immer wieder habe ich die Augen des Mädchens vor mir gesehen«, warf Hedwig ein. Die Männer nickten.
»Bevor ich es vergesse, Adolph: Braumeister Hesse aus Duderstadt, der das starke Dunkelbier herstellt, will Euch beim nächsten Braugang ein Fass abzweigen und es Euch zur Burg schaffen lassen … weil Ihr dem Mädchen helft.«
Als Lambrecht den fragenden Blick des Freundes sah, erklärte er: »Auch er und seine Frau glauben den Lügen meines Schwagers nicht.« Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den dreien, bis Hedwig ihrem Gatten über den Oberarm streichelte und fragte: »Weihst du mich in das letzte Geheimnis der von Wintzingerodes ein?«
Ein Lächeln huschte über Adolph Ernsts Gesicht. Seine braungrünen Augen leuchteten im Schein der Kerze. In geheimnisvollem Ton sagte er: »Ob es das letzte Geheimnis meiner Familie ist, bezweifle ich, aber dieses hier werde ich gern mit dir und meinem Freund teilen.«
Jetzt nahm Lambrecht die Dokumente auf dem Tisch wahr und schob das graue so zurecht, dass er es lesen konnte. Dann betrachtete er sich die Wachssiegel des sandfarbenen Briefes genauer.
»Ich ahne es. Ich erinnere mich, in den alten Kirchenbüchern etwas darüber gelesen zu haben. Sind das die Originale?« Stolz nickte der Freiherr.
»Dann sind diese Papiere tatsächlich fast dreihundert Jahre alt?« Wieder nickte Adolph Ernst.
Fast ehrfürchtig strich Hedwig mit den Fingerkuppen über das Papier.
»Wenn man sich überlegt, wie viele Generationen diese Schriftstücke in Händen gehalten haben …«
»Zwar haben wir viele alte Stücke, Möbel und Waffen, auch
Münzen oder Bilder hier auf Burg Bodenstein, aber ich glaube, diese beiden Dokumente sind tatsächlich die ältesten Erbstücke. Sie werden seit Generationen an den erstgeborenen Sohn weitergereicht, damit die Burg in Familienbesitz bleibt. Ich war so alt wie das Mädchen, als mein Vater mir diese Urkunden das erste Mal zeigte. Vielleicht ist das der Grund, warum ich sie mir ausgerechnet in dieser Nacht wieder angesehen habe …«
»Was besagen denn die Dokumente?«, fragte die Hausherrin nun ungeduldig.
Adolph Ernst zeigte auf das hellere der beiden Schriftstücke und erklärte: »Seit 1448 gehört Burg Bodenstein allein den von Wintzingerode. Doch dies ist eine Vereinbarung zwischen vier Familien von 1337, die damals zusammen über die Burg verfügten. Ihre Namen waren Berthold von Worbis, Hans von Wintzingerode, Otto von Rusteberg und Heinrich, genannt Wolf. Dieses Abkommen verlangt …« Er zog das Dokument näher zu sich heran, zeigte auf einen Absatz und sprach: »… sich und seine Nachkommen im Besitz gegenseitig, auch gegen alle Lehnsherren, zu schützen, den Mitkäufern und deren Erben das Vorkaufsrecht einzuräumen und nur an allen Käufern genehme und den Burgfrieden anerkennende Personen Anteile weiterzuveräußern. Außerdem steht in der Vereinbarung, keine Waldstücke zu verkaufen, das eigene Burghaus innerhalb der Burgumfriedung nicht übermäßig zu erhöhen, keinen Feinden eines Burggenossen Unterschlupf auf der Burg zu gewähren und noch einiges mehr. Doch die für die Familie von Wintzingerode wichtigste Bestimmung des Burgfriedens lautet: Gibt es mehr als einen Erben, so soll der Familienrat einen unter sich wählen, dem das Familienviertel überantwortet wird. Denn Haus und Gericht durften nicht in mehr als Viertel aufgeteilt werden. Diese Bestimmung sollte auf ewig gelten, doch in den vergangenen Jahren war es bedauerlicherweise nicht allen
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