Das Hexenmal: Roman (German Edition)
… Dieser Mensch schreckt wahrlich vor nichts zurück!«, rief sie entrüstet.
Dann hielt sie inne und sah Franziska mitfühlend an. Jeder konnte Tränen in ihren Augen schimmern sehen. Theatralisch schnäuzte Hedwig sich in ihr Taschentuch und fuhr dann mit zorniger Stimme fort: »Wir vermuten, dass Bonner sicherlich auch euch mit Geld bestechen wird, sobald er weiß, dass Franziska hier bei uns auf der Burg lebt … Sollte jemand von euch die Absicht haben, sich die Belohnung zu verdienen und unseren Gast zu verraten, wird Freiherr von Wintzingerode denjenigen mitsamt seiner Familie aus unserem Schutz entlassen und von dannen jagen!«
Leises Gemurmel war zu vernehmen. Alle wussten, dass dies das Schlimmste war, was ihnen passieren konnte. Zum einen gab es sicherlich keinen gerechteren Herren als Adolph Ernst von Wintzingerode, und zum anderen wäre auf dem gesamten Eichsfeld danach keine Arbeit zu finden, da sich der Verrat in Windeseile herumsprechen würde.
Hedwig ahnte die Gedanken der erschreckten Menschen und bat ihren Schöpfer stumm um Vergebung. Aber sie war sich sicher, dass Gott ihr diese Unwahrheit vergeben würde – hatte sie doch keine böse Absicht damit verfolgt, sondern wollte nur das Leben eines unschuldigen Menschen retten. Als sie jedoch in
das regungslose Gesicht ihres Mannes blickte, wusste sie, dass er ihr diese Lüge nicht so schnell verzeihen würde. Für Ernst Adolph war Ehrlichkeit eine der höchsten Tugenden, und er hatte kein Verständnis für Lügen, selbst dann nicht, wenn es sich dabei um Notlügen handelte. Hedwig bat ihn mit ihrem Blick um Vergebung, doch er drehte den Kopf zur Seite.
Auch drei Tage später sprach Adolph Ernst noch immer nur das Nötigste mit seiner Frau. Als sie ihm jedoch das Jäckchen zeigte, das Franziska für das ungeborene Kind genäht hatte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und er zog Hedwig in seine Arme.
Franziska hatte eine einfache Kammer unter dem Dach bezogen. Sie wurde nicht mehr eingesperrt und durfte sich innerhalb der Burg frei bewegen. Die meiste Zeit jedoch saß sie in ihrem Zimmer und nähte die Erstlingsausstattung für das ungeborene Kind der Edelleute.
Durch ein kleines Fenster konnte Franziska weit über das Eichsfeld blicken. Doch außer Baumwipfeln und dem darüberliegenden Himmel war nicht viel zu sehen, da die Burg sehr hoch auf dem Berg lag. Wieder einmal hielt sie in ihrer Arbeit inne und dachte mit schwerem Herzen an ihren Liebsten. Ob seine schrecklichen Wunden wohl verheilt waren? Würde er nach ihr fragen? Das Mädchen hoffte, dass Pfarrer Lambrecht bald kommen und ihr diese Fragen beantworten würde. Auch wenn sie Johann nie wiedersehen würde, so wollte sie doch wissen, wie es ihm ging.
Als Annerose in Johanns Zimmer trat, saß er in seinem Bett und trank eine kräftige Hühnerbrühe. Liebevoll strich sie ihrem
Sohn über das Haupt. In den letzten Tagen hatte sie viel über sich, ihr Leben und Johann nachgedacht. Bevor sie etwas sagen konnte, fragte ihr Sohn: »Sagst du Franziska, dass sie mich bitte besuchen soll? Ich habe sie seit Tagen nicht gesehen.«
Annerose schluckte schwer. Was sollte sie ihm sagen? Dass die Magd davongelaufen war und ihn im Stich gelassen hatte? Oder dass Franziska mit einem Knecht weitergezogen war?
Diese Antworten würde er kaum glauben. Aber falls doch, so wusste Annerose aus eigner Erfahrung, dass der Schmerz über die verlorene Liebe groß sein würde. Aber mit der Zeit würde er vergehen, und Johann würde Franziska vergessen. Sagte sie ihm jedoch die Wahrheit, nämlich dass der Bauer das Mädchen fortgejagt hatte und sie der Hexerei anklagen wollte, bliebe Johann nicht länger auf seinem Lager liegen, sondern würde nach ihr suchen wollen.
Doch Annerose befürchtete, dass Johann das Mädchen ebenso wenig finden würde wie ihr Mann. Franziskas Spur verlor sich in Tastungen – bei ihrem eigenen Bruder, dem Pfarrer. Der gab zwar zu, dem Mädchen für eine Nacht Quartier gewährt zu haben. Doch dann, so hatte Lutz beteuert, sei Franziska im Morgengrauen verschwunden.
Bonner glaubte dem Schwager nicht, hatte ihn der Lüge bezichtigt und scheinheilig erklärt, dass Lügen eine schwere Sünde sei.
Entrüstet hatte Lutz diese Unterstellung gegen ihn, einen Vertreter Gottes, zurückgewiesen. Aber sogar Annerose traute dem Bruder nicht. Das leichte Zucken um sein rechtes Auge, das sie noch aus Kindertagen kannte, wenn er etwas ausgefressen hatte, vor den Eltern aber strikt
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