Das Hexenmal: Roman (German Edition)
Narr doch die Finger schmutzig machen. Er hatte erreicht, was er wollte, und das war schneller gegangen, als er gedacht hatte.
Eine Stunde später standen ein prächtiger kleiner Hengst und eine erschöpfte Stute im Stall.
Clemens tätschelte den Hals des Muttertiers und sprach leise auf es ein. Vorsichtig führte er die beiden hinaus auf die Koppel. Ein Knecht ging neben ihnen her und klopfte dem Hengstfohlen sachte das Hinterteil, damit es der Mutter folgte.
Auf der grünen Wiese wieherte die Stute laut und lief langsam zum Bach, der sich als schmaler Graben durch die Weide zog. Ihr Sohn sprang munter hinter ihr her.
Clemens stand an den Zaun gelehnt und sah den Tieren zu, als sich Heinrich zu ihm gesellte. Der Stallknecht hatte schon Clemens’ Vater mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Der plötzliche Tod des Herrn hatte den alten Mann sehr getroffen. Seitdem
sah man ihn selten lachen, zumal auch er mit Annas Mann nicht zurechtkam.
»Wie nennst du ihn?«
»Da seine Geburt die Gemüter erhitzt und für Aufregung gesorgt hat, nenne ich ihn ›Wirbelsturm‹. Schau nur, wie lebendig er jetzt schon ist.«
Heinrich nickte, und seine warmen braunen Augen strahlten, als er das Fohlen betrachtete.
»Ja, das ist ein passender Name für ihn …« Leise seufzte der alte Mann und schaute nun Clemens an.
»Clemens …«, begann er, »ich bin fast sechzig Jahre alt. Meine Zeit ist bald abgelaufen. Die restlichen Tage, die mir noch bleiben, möchte ich in Frieden verbringen. Doch seit er hier den Herrn spielt, komme ich kaum noch zur Ruhe …«
Clemens wusste, wen Heinrich mit dem Wörtchen er meinte, das er wie einen Tabakspriem ausspuckte. Auch ahnte er, was der treue Knecht ihm mitteilen wollte.
»Meine Tochter, die Bärbel, will mich zu sich nehmen. Ihr Mann braucht jede helfende Hand auf dem Feld. So würde ich mich nicht unnütz fühlen, wenn sie mir ein Dach über dem Kopf gewähren. Wenn dein Vater noch leben würde, dann wäre ich geblieben, bis der liebe Herrgott mich zu sich ruft … aber so!« Für einen kurzen Moment lag ein Leuchten in seinen Augen, als er weitersprach: »Nächtelang haben dein Vater und ich zusammengesessen und über Pferde geredet. Oft wollte er meine Meinung wissen, und ich fühlte mich geehrt. Doch nun klopft niemand mehr an meine Tür, weil er meinen Rat oder meine Hilfe benötigt. Meine Anwesenheit auf diesem Hof ist nicht länger erwünscht …«
Clemens legte die Hand auf die knochige Schulter des alten Mannes. Er musterte das von tiefen Falten zerfurchte Gesicht und sah ein verräterisches Schimmern in Heinrichs Augen.
»Ich weiß, Heinrich. Mir geht es ebenso. Ich fühle mich nicht
mehr wohl hier. Auch Anna ist mir fremd geworden. Früher waren wir ein Herz und eine Seele, doch nun versteht sie mich nicht mehr. Sie lacht selten, selbst singen höre ich sie kaum noch. Was ist nur aus uns geworden? Meiner Mutter würde es das Herz brechen, wenn sie noch lebte …«
»Mein Junge, du musst dich in Acht nehmen vor dem Herrn.«
»Heinrich, nenne ihn nicht so. Er ist nicht unser Herr. Ich bin der Erbe des Gutes. Weiß der Teufel, was meinen Vater geritten hat, in seinem Testament diese Klausel festzuschreiben, dass ich erst nach einer Heirat mein Erbe erhalte.« Clemens hielt inne und sah zur Herde hinüber, die friedlich graste. Der kleine Hengst lag ausgestreckt in der Sonne.
»Ja, auch mir kommt diese Regelung seltsam vor. Sicher, du bist jung, trinkst und spielst gern … Doch dass dein Vater dir dein Erbe erst zugesteht, wenn du verheiratest bist, das passt nicht zu ihm. Weiß Gott, ich habe schon nächtelang darüber gegrübelt, aber ich verstehe es nicht.« Heinrich schüttelte sein Haupt und starrte nachdenklich in die Weite. Dann sagte er: »Es ärgert mich, dass der Münzbacher sich seiner Lage so sicher ist. Er spielt sich vor den Knechten auf, als ob er hier alles geschaffen hätte, dabei hat er sich doch nur ins gemachte Nest gesetzt.« Mit einem traurig verlegenen Augenzwinkern fügte er hinzu: »Schade, dass du keine Braut vorweisen kannst.«
»Ja, das hat Anna heute Morgen auch schon gesagt. Heirate, meinte sie, und du bekommst dein Erbe ausgezahlt. Aber ich habe noch nicht die Richtige gefunden. Ich bin erst neunzehn Jahre alt und fühle mich zu jung zum Heiraten. Ich hätte mir gewünscht, dass Anna einen Mann heiratet, mit dem zusammen ich eine neue Pferderasse züchten könnte. Es war mein Traum, in den Norden zu reisen, da gibt es kräftige Tiere, gut
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