Das Hexenmal: Roman (German Edition)
erzählt, fügt etwas hinzu.« Liebevoll knuffte sie ihren Mann in die Seite.
»Jo, so isses! Wir leben in Aue und pilgern jede Wallfahrt hier herauf. Was hat Euch bewogen hierherzukommen?«
Bevor Johann antworten konnte, erklärte Franziska freudig: »Wir sind erst seit kurzem verheiratet und möchten in der Kapelle dem Heiland für unser Glück danken.«
Erstaunt sagte der Mann: »Das wird Jesus Christ erfreuen. So ein junges Glück möchte dem Schöpfer danken – wie selten in der heutigen Zeit, wo jeder nur an sich denkt und dem anderen Feind ist. Das lobe ich mir! Gehabt Euch wohl.« Mit diesen Worten verabschiedete sich das Paar und fügte sich wieder in den Pilgerstrom ein.
Franziskas Augen strahlten mit der Sonne um die Wette. Über die freundlichen Worte des Mannes war sie so erfreut, dass sie kaum die Frau wahrnahm, die jetzt neben ihnen stand. Erst als Johann Franziska am Arm zog, damit sie ein wenig zur Seite trat, bemerkte sie die Fremde und blickte ihr ins Gesicht. Blass war das Antlitz der jungen Frau, das von dunklen Haaren umrahmt wurde. Helle Augen sahen starr geradeaus. Als ein leichtes Windchen das schwarze Kleid an ihren Körper presste, konnte man sehen, wie überaus dünn sie war.
›Nur Haut und Knochen‹, dachte Franziska mitfühlend. Die Fremde schien den Blick der jungen Frau zu spüren, denn sie wandte ihr Gesicht Franziska zu. Ihre Augen trafen sich. Beide
sprachen kein Wort. Tränen glänzten in den hellblauen Augen der Fremden. Als eine Männerstimme laut und fordernd einen Namen rief, schloss sie die Lider. Eine Träne kullerte ihr über die Wange. Erst als dieselbe Stimme wieder nach ihr rief, diesmal ungeduldig und mit hartem Klang, öffnete sie die Augen. Franziska glaubte, den Schmerz der Welt in ihnen zu erkennen, und griff stumm nach der Hand der Fremden, um diese leicht zu drücken.
»Anna!«, rief der Mann zum dritten Mal. Da erwiderte die Frau kurz den Händedruck, zog dann ihre Hand zurück und ging wortlos zu dem Mann, der sie gerufen hatte. Auch Johann hatte die Szene verfolgt. Liebevoll umarmte er Franziska und sagte: »Lass uns für unser Glück danken!«
Hand in Hand folgten sie den Menschen, die auf dem Weg zur Kapelle waren.
Friedrich Schildknecht war die unbefestigte Straße zum Hülfensberg so weit hinaufgeritten, wie das Fußvolk es zugelassen hatte. Nicht jeder Pilger konnte den steilen Waldweg erklimmen, sodass einige den bequemeren nahmen, der sonst von den Fuhrwerken der Händler genutzt wurde.
Irgendwann wurden es jedoch zu viele Menschen, sodass sein Pferd nervös zu tänzeln begann und er absteigen musste. Seitdem führte er es neben den Pilgern her, die singend den Berg erklommen. Als Friedrich zurückblickte, stellte er fest, dass der Menschenfluss stetig anwuchs. Tausende von Pilgern – Kinder und Erwachsene, Junge und Alte, Gesunde und Kranke zogen betend den Berg hinauf, um zum Wallfahrtsort zu gelangen.
Je näher Friedrich dem Gipfel kam, desto mehr Händler hatten an den Wegseiten ihre Stände aufgebaut. Für viel Geld boten sie den gläubigen Menschen Getränke und frische Backwaren an. Auch dem jungen Arzt klebte die Zunge am Gaumen, und so gönnte er sich ein Glas erfrischenden, aber überteuerten
Würzwein. Weiter oben am Weg standen Buden, in denen ihm geschäftstüchtige Kaufleute kleine Holzkreuze, Rosenkränze oder Zeichnungen des Wallfahrtsorts verkaufen wollten. Lachend lehnte er ab. Immer wieder erschnupperte der junge Arzt köstliche Speisen, die den Pilgern feilgeboten wurden. Friedrich ahnte, dass manch einem beim Anblick der gefüllten Pasteten das Wasser im Munde zusammenlief.
Sein Blick schweifte über die Köpfe der Menschen. Und er hatte Glück, denn er musste nicht lange suchen. Nicht weit von ihm sah er sie! Wie ein dressiertes Hündchen folgte sie ihrem Ehemann auf Schritt und Tritt.
Münzbachers Gesichtsausdruck verriet dem jungen Schildknecht, wie sehr ihn die vielen Menschen um ihn herum anwiderten. Nicht nur Pilger waren hier auf den Hülfensberg gekommen, sondern auch viele Bettler. Sie hielten den frommen Leuten metallene Schalen unter die Nase und hofften, dass eine Münze das Blech zum Klingen bringen würde. Manch einem Bettler schlug Münzbacher die Schale aus der Hand. Doch ein hartnäckiger Bursche hielt sich am Mantel des Notars fest und wollte den edlen Zwirn nicht mehr loslassen. Nur mit Mühe war es Münzbacher möglich, sich zu befreien. Friedrich hätte beinahe laut gelacht. Doch er
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