Das Hexenschiff
behielten die Umgebung im Auge. Gespenstisch still war es geworden. Durch den Blutregen hatte das frische Grün der Blätter eine bräunliche Farbe bekommen. Von manchen Blättern fielen jetzt noch Tropfen zu Boden. Lange konnte der Regen noch nicht vorbei sein. »Vielleicht sehen wir das Schiff noch«, vermutete Kelly.
Bill drehte sich um. Kelly ging hinter ihm. Den Schluß machte Suko. Der schwarzhaarige Mann aus dem Ort wirkte mit seinen beiden Gewehren wie ein wilder Kämpfer aus einem Söldner-Film. Dennoch war in seinen Augen Angst zu lesen. Er hatte die Parka-Jacke geöffnet. Beim Gehen wehten die Schöße zur Seite. Suko und Bill gelang es, einen Blick auf seinen Munitionsgürtel zu werfen. Er war bis zum Rand mit Patronen gespickt.
Endlich erreichten sie die Straße. Aus einer schmalen Gasse tauchten sie auf und fanden die Straße leer.
Kein Schiff!
Kelly schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Es müßte doch da sein.«
»Vielleicht ist es gar nicht gekommen«, vermutete Bill.
»Das glaube ich nicht.«
»Oder es erscheint noch«, fügte Suko hinzu.
»Nein, nein.« Kelly war davon überzeugt, daß dieses Hexenschiff bereits dagewesen war. Er lief zur Straßenmitte vor und schaute sich den Boden genau an.
»Hier ist jemand hergegangen!« rief er plötzlich.
Suko und Bill waren rasch bei ihm. Kelly deutet auf Spuren. Die Fußabdrücke hatten sich tief in den weichen Schlamm eingegraben und waren deutlich zu erkennen.
»Weißt du, was John für Schuhe angehabt hat?« erkundigte sich Suko bei dem Reporter.
»Keine Ahnung.«
»Es könnten die Spuren von ihm sein.«
»Möglich.«
»Reden Sie von Ihrem Freund?« fragte Kelly.
»Ja.«
Der schwarzhaarige Mann lachte. »Da werden Sie wohl kaum Glück haben. Wenn er wirklich hier war und das Schiff gesehen hat, dann ist er nicht mehr am Leben.«
»Das bleibt abzuwarten«, gab Bill zurück. »Ich meine…« Was er meinte, sprach er nicht mehr aus, denn er hatte etwas gehört. Und auch die anderen hatten es vernommen.
Ferne Stimmen. Schreie!
Für einen Moment blieben die drei Männer unbeweglich stehen. Dann drehten sie sich und versuchten, die Stelle zu finden, wo die Schreie aufgeklungen waren. Das gelang ihnen nicht.
Bis Suko in die Höhe deutete. »Die kommen von oben«, flüsterte er und schaute in die Wolkenwand.
Kelly drückte es anders aus. »Vom Hexenschiff…«
***
Die Reisen von Sindbad, dem Seefahrer, waren sicherlich nicht phantastischer gewesen, als die, die vor mir lag, als ich mit dem Schiff in die Wolken stieg.
Angetrieben von der magischen Kraft eines alten Fluchs, glitten wir höher und höher, möglicherweise sogar in eine andere Dimension hinein. Wer konnte das schon sagen?
Es war wirklich ein Erlebnis. So mußte einem Ballonfahrer zumute sein, der seine erste Reise macht.
Wenn nicht die Hexen gewesen wären. Ich sah sie nicht, wußte nur, daß sie anwesend waren und mich aus dem Unsichtbaren belauerten. Zudem hatten sie Menschen in ihre Gewalt gebracht, und ich stellte mir die Frage, wo sie diese versteckt hielten.
Die Wolken wurden dichter. Schon bald hüllten sie das Schiff so ein wie dichtester Londoner Nebel, und ich konnte fast meine Hand nicht mehr vor Augen sehen.
Der Nebel blieb nie ruhig. Er wallte, er tanzte. In seinem Innern schienen sich permanent neue Figuren zu bilden, die auf mich zuschwebten, wieder verschwanden, von neuem ankamen, an mir vorbeiglitten oder mich umarmten.
Geisterhafte Stimmen umkreisten mich. Ich hörte die Hexen aus dem Unsichtbaren reden.
Sie freuten sich diebisch.
»Wir haben dich, Mensch. Wir haben dich… Unsere große Freundin Wikka wird sich freuen.«
Wieder war der Name der Oberhexe gefallen. Weshalb taten sie das? Ich hatte das Gefühl, auf den Arm genommen zu werden und überlegte mir die richtige Antwort.
Sollte ich sagen, was ich wußte? Klar, ich mußte sie mal schocken.
»Wikka ist tot!« rief ich laut und in den Nebel hinein. »Sie kehrt auch nicht mehr zurück! Es gibt sie nicht mehr. Habt ihr verstanden? Es gibt keine Wikka!«
Jetzt wurde es spannend. Aufgeregt erwartete ich die Antwort. Würden sie mir glauben?
Es blieb ruhig. Selbst das Hohngelächter war verstummt. Keine Stimmen mehr, die mich verhöhnten oder beeinflussen wollten. Aber ich würde eine Antwort bekommen.
»Sie kann nicht tot sein!« Es klang wie ein Schrei, der sich durch den dichten Nebel eine Bahn brach. »Wikka ist unsterblich. Sie ist die Königin der Hexen!«
»Das glaubt ihr. Ich
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