Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
oft weder der Redner noch die Zuhörer wirklich verstehen, was gemeint ist. Meist verbreitet sich bloß der Geruch eines irgendwie vertrauten Jargons. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer richtet sich währenddessen auf die Wand, an die der Projektor bunte Grafiken und Texttafeln wirft. Und nicht etwa auf den Referenten und seine Botschaft. Dieser wiederum liest von der Wand ab, was die Zuhörer selbst schon längst gelesen haben. Im Übrigen hören sie schon deshalb nicht zu, weil sie am Ende für ihre Qualen mit einem „Handout“ entschädigt werden, das sie, schwarz auf weiß gedruckt, getrost nach Hause tragen – und in einem Ordner oder im Papierkorb versenken.
Der direkte Kontakt zwischen Redner und Zuhörer geht bei all dem völlig verloren, der Inhalt bleibt auf der Strecke, ein Dialog findet nicht statt. Falls es überhaupt zu Nachfragen, geschweige denn zu Einwänden kommt, klickt der Redner oft genug bloß zur betreffenden Folie zurück, um sie in etwas anderen Worten noch einmal zu verlesen. Von nachvollziehbarer, spannender und nachhaltiger Vermittlung keine Spur.
Die Menschen schauen sich zum Beispiel auch nicht mehr in die Augen. Ob drei, 30 oder 300 Leute im Raum sitzen, bei der üblichen Powerpoint-Präsentation werden die Zuhörer stets wie ein anonymes Auditorium angesprochen. Mit der Folge, dass auch niemand das Gefühl haben muss, er könnte gemeint sein. Mit anderen Worten: Das, was in der menschlichen Kommunikation die „Beziehungsebene“ ausmacht, wird nahezu völlig ausgeblendet.
Insofern es überhaupt darum geht, Ideen mit dem Ziel ihrer Umsetzung zu vermitteln, hat diese Art des Vorgehens nur einen Sinn: sich durch Produktion von Ignoranz abzusichern. Wurde die Präsentation von einer Führungskraft gehalten, kann diese sich später nämlich immer darauf berufen, die Sache sei schließlich besprochen worden – und Widerspruch habe es keinen gegeben. Haben dagegen Mitarbeiter ohne Alpha-Status etwas vorgetragen, kann es auch einfach vergessen werden. Und auf den oberen Etagen das getan werden, was ohnehin beabsichtigt war.
Die Kunst der freien Rede
Ich persönlich bin ein bedingungsloser Anhänger der freien Rede. Der Rhetorik eilt ja leider das Missverständnis voraus, sie sei hauptsächlich eine Sammlung fieser Tricks, mit deren Hilfe man Menschen zu etwas überrede, was sie eigentlich weder meinen noch wollen. In Wahrheit ist diese altehrwürdige Disziplin aus dem Kanon der Sieben Freien Künste alles andere als eine Munitionskiste für Demagogen. Die Rhetorik bietet einen Leitfaden, um nicht allein inhaltlich schlüssig zu argumentieren, sondern diese Argumentation auch überzeugend, anschaulich und fesselnd darzulegen. In diesem ursprünglich gemeinten Sinne sollten wir die Redekunst wieder etwas ernster nehmen – und in der Ausbildung unbedingt mehr Wert auf sie legen.
Auch hier gilt nämlich, dass was Hänschen nicht lernt, Hans nimmer mehr lernen wird. Wer nicht schon in der Schule – in der Universität oder der Fachhochschule sowieso – regelmäßig einen freien Vortrag über ein begrenztes Thema halten muss, der wird später im Beruf dazu auch nicht in der Lage sein. Entweder ist er gar nicht fähig, vor anderen Menschen zu sprechen, oder er wird stets zum beschriebenen Notanker des Verlesens vorbereiteter Folien greifen.
Ein „freier Vortrag“ bedeutet: einzig gestützt auf ein paar handschriftliche Stichworte, ohne vorformuliertes Manuskriptoder andere Vorlagen zehn, 15, maximal 30 Minuten über ein Thema zu sprechen. Die einfache Grundregel dafür lautet: Sage den Leuten zuerst knapp, was Du ihnen sagen willst; dann sage es; zum Schluss fasse noch einmal zusammen, was Du gesagt hast. Ein erfolgreicher Vortrag transportiert in möglichst kurzer Zeit so viele Argumente in der Sache wie möglich mithilfe von so viel Unterhaltendem in der Form wie nötig.
Ich sprach bereits über Weitschweifigkeit. Sehr häufig wird leider vergessen, dass Zahlen, Daten und Fakten, ebenso wie originelle Formulierungen oder heitere Auflockerungen in einem guten Vortrag zum „Schmuck“ gehören, also zur äußeren Form, nicht zur Sache selbst. Wer seine zentrale These plus drei, vier starke Argumente zu ihrer Untermauerung in einem Wust von Beispielen, Statistiken oder betriebswirtschaftlichen Kennzahlen ertränkt, der darf sich nicht wundern, wenn seine Zuhörer sehr bald abschalten. Ein originelles Beispiel – gut. Ein, zwei besonders aussagekräftige Zahlen – auch gut. Mehr
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