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Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen

Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen

Titel: Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Hipp
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in denen wir stehen. Die Kunst besteht eben darin, in doppelter Hinsicht das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Will sagen, das Gute weiterzugeben und das Belastende aufzugeben.
    In der Tradition wird es immer wieder Einzelheiten geben, die inzwischen veraltet und nicht mehr zeitgemäß sind. Da hilft keine Nostalgie und kein fundamentales Festhalten an alten Dingen. Wir müssen die alten Formen vielmehr mit neuen Inhaltenauffüllen. Die eigentliche Herausforderung der Tradition besteht darin, sie anzunehmen und sie zu etwas Eigenem zu machen, nur so bleibt sie lebendig.
    Unsere Eltern, Lehrer und Meister meinten es gut mit uns, als sie uns ihre Traditionen weitergaben. Dennoch kam irgendwann einmal für jeden von uns der Punkt, an dem wir uns von ihnen – von den Eltern, Lehrern und Meistern ebenso wie von ihren Traditionen – irgendwie absetzen und unterscheiden wollten. Jeder Lehrer kann die Schüler bei allem Wohlwollen ab einer bestimmten Zeit in ihrer Entwicklung auch einengen. Und leider gibt es natürlich auch viele Lehrer, die ihrer wirklichen Aufgabe, nämlich der guten Balance von Erziehung und Loslassen, nicht gewachsen sind und es geradezu provozieren, dass sich die Schüler von ihnen absetzen wollen.
    Machen wir uns nichts vor: Lernen ist anstrengend und mit Mühe verbunden. Vor allem geht es für die Lernenden immer auf Kosten der persönlichen Freiheit. Deswegen haben Schüler zu allen Zeiten die Neigung gehabt, sich wo es nur geht vor der Schule zu drücken oder sich gar über ihre Lehrer lustig zu machen. Beides sind ganz natürliche Reflexe auf das Gefühl, in der Schule vieles unfreiwillig und unter Druck tun zu müssen. Während die eigenen Neigungen – vom kindlichen Spieltrieb ganz zu schweigen – häufig unter die Räder dieses Drucks zu kommen scheinen.
    In meiner Schulzeit habe ich einmal meinen Musiklehrer gefragt, woran es eigentlich liege, ob ein Lehrer bei den Schülern ankommt oder nicht. Beziehungsweise, was darüber entscheidet, ob er als natürliche Autorität ernst genommen wird, oder Opfer von Spott und Streichen wird. Er erklärte mir, aus seiner Erfahrung habe der Lehrer genau dann gewonnen, wenn er es in einer neuen Klasse schaffe, die Schüler innerhalb der ersten zehn Minuten einmal herzhaft zum Lachen zu bringen. Noch entscheidender sei es freilich, dieses Lachen innerhalb kurzer Zeit auch wieder einzubremsen. Ansonsten laufe er Gefahr, als unverbindlicher Alleinunterhalter wahrgenommen zu werden.
    Das bedeutet: Wenn die Schüler das Gefühl haben, der Lehrer meint es gut mit ihnen, dann werden sie ihn gerne akzeptieren und sich von ihm leiten lassen. Wenn er aber nur von oben herab Kraft seines Amtes ein Terrorregime ausübt und die Schüler schikaniert, wird er die Herzen der Schüler nicht gewinnen und auch nur schwerlich Begeisterung für die Sache wecken können. Solcher Machtmissbrauch kommt an Schulen auch in subtiler Form leider immer noch vor. Dann werden Tradition und der Erwerb von Wissen zu Belastungen, die intuitiv abgelehnt werden.
    Unabhängig von solchen Extremfällen können wir immer wieder Wellenbewegungen im Emanzipationsstreben der nächsten Generation beobachten. Nehmen wir zum Beispiel die Kunst, und im Speziellen das Theater oder die Oper. Im Moment sind unter den Meinungsführern traditionelle Aufführungen eher verpönt und das sogenannte Regietheater zwar in der Kritik, aber noch immer im Trend. Mir als Theater- oder Opernbesucher drängt sich häufig der Eindruck auf, dass es bei vielen der Regie-Experimente mehr um die Selbstdarstellung des Regisseurs geht, als um das Werk selbst. Diese oft skandalträchtigen Inszenierungen gehen im Grunde nach einem immer gleichen Muster vor: Absichtlich und mitunter krampfhaft werden Traditionen gebrochen von Menschen, die sich ganz offensichtlich vor allem selbst darstellen möchten. Werktreue gilt diesen Künstlern als negatives Qualitätsmerkmal.
    Viele mögliche Besucher meiden deshalb dieses Regietheater. Sie denken sich womöglich, dass sie die Bilder im Museum auch im Original anschauen möchten und nicht in einer willkürlichen Übermalung, um dadurch angeblich neue Interpretationen zu ermöglichen. Auch bei mir gibt es diese Grenzen des Verständnisses. Viele moderne Inszenierungen finde ich schlüssig und spannend, aber nicht alles Neuartige findet meine Zustimmung. Problematisch wird es für mich vor allem dann, wenn ich das zugrunde liegende Stück nicht mehr erkennen kann.
    Ich denke, der

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