Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
Tradition erst recht nicht ersetzen.
Tradition und Veränderung
Wie alles auf der Welt haben auch Traditionen ihre Kehrseite. Wenn sie nicht lebendig bleiben oder exerziert werden, ohne immer wieder aufs Neue befragt und neu mit Leben gefüllt zu werden, können sie hinderlich und geradezu zum Bremsmechanismus werden. Nämlich dann, wenn das Gute aus der Vergangenheit nur noch deswegen geschätzt wird, weil es eben immer so war. Wenn alle Chancen und Verbesserungen, die sich in der Gegenwart bieten, mit dieser Begründung abgeschmettert werden. Von dem großen Komponisten, Dirigenten und Opernerneuerer Gustav Mahler ist der schöne Ausspruch überliefert: „Tradition ist Schlamperei.“ Damit pflegte er Kritiker zu parieren, die ihm vorwarfen, mit seinen neumodischen Praktiken die Tradition zu missachten. Ebenfalls Gustav Mahler zugeschrieben, tatsächlich aber aus der Feder von Thomas Morus stammt ein weiterer kritischer, oder sagen wir besser differenzierender Satz: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Beide sprichwörtlichen Sätze bringen die Kehrseite der Tradition und des bloßen Bewahrens aufden Punkt. Denn wenn wir etwas immer und immer wieder auf eine bestimmte Weise tun, ohne dieses Tun kritisch zu befragen und auf seine aktuelle Gültigkeit zu prüfen, dann trifft es unter Umständen die Zeit nicht mehr.
Die meisten Menschen fürchten – aus durchaus guten Gründen – das Risiko, einen bewährten Weg zu verlassen und sind überängstlich, etwas zu verändern. In der Schweiz gibt es dazu das Sprichwort „Ztood gfüürcht isch ou gschtorbe“ („Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben“). Oft werden wir auch von überalterten Vorschriften und Gesetzmäßigkeiten behindert, die zu neueren Entwicklungen einfach nicht mehr passen wollen. Dagegen wehren viele Menschen sich zu Recht. Traditionen sind gut und wichtig, um Werte und Kenntnisse zu bewahren und uns als Richtschnur zu dienen. Jenseits aller Traditionen müssen wir uns aber auch die Freiheit bewahren, neue Ideen wachsen lassen zu können. Es kann niemals ein hinreichender Grund sein, an Etwas festzuhalten, nur weil dieses etwas immer so war. Manchmal müssen wir eben mit Altem auch brechen und die Dinge ganz anders machen.
Den Heizer beispielsweise, der aus Tradition noch lange Zeit auf der Elektrolokomotive mitfahren musste, weil eben immer ein Heizer dabei gewesen war, den brauchten wir damals schon nicht mehr. Wir sollten so beweglich sein, das, was wir als Verbesserung und Fortschritt erkennen, auch selbstverständlich anzunehmen und mutig umzusetzen. Das, was wir verändern, können wir dann als eine neue Tradition weitergeben, bis wieder etwas noch Besseres kommt.
Ich selbst habe mit mancher Tradition in meiner Familie bewusst gebrochen. Nicht leichtfertig oder aus purer Provokationslust. Sondern immer dann, wenn mir eine Tradition unsinnig erschien. Ein schönes Beispiel dafür ist die Essensordnung im heimatlichen Elternhaus. Bei uns war es üblich, dass sich am Sonntagmittag alle Familienmitglieder zu einem festlichen Familienessen versammelten. In meiner Erinnerung schien draußen derweil meistens herrlich die Sonne, und ich hätte gern Sport getrieben oder einen Ausflug gemacht. Das erschien mirviel verlockender, als um einen Tisch herumzusitzen und die schönste Zeit des Tages mit einem langen Essen zu verbringen. Dementsprechend gelangweilt und traurig war ich bei diesem sonntäglichen Ritual. Als Erwachsener habe ich später in meiner eigenen Familie mit dieser Tradition gebrochen. Meine Kinder waren nicht dazu verpflichtet, am Sonntagmittag alle da zu sein. Wir haben uns lieber am Abend getroffen. Ich habe also mit einer Tradition gebrochen, um eine neue einzuführen.
In einem Unternehmen werden oft Traditionen aufgegeben, sobald neue Erkenntnisse über grundlegende Produktionsprozesse vorliegen. Das halte ich für einen elementaren und ausgesprochen wichtigen Prozess. Wenn es neue technische Möglichkeiten gibt, wirkt sich dieser Fortschritt auf alle bislang bewährten Verfahrenswege aus. Wie viele Dinge wurden früher traditionell von Hand gefertigt und werden heute dank technischer Errungenschaften maschinell erledigt. Und wie oft erlebe ich, dass junge Mitarbeiter sagen: „Die Zeiten sind vorbei, das geht doch heute viel eleganter!“ Und fast immer haben sie recht. Oft waren früher aus sicherheitstechnischen Gründen bestimmte Abläufe festgelegt, die heute dank technischer
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