Das Hiroshima-Tor
den Tod von Sallys Mann?«
»Nicht viel.« Sie spielte mit dem geflochtenen Band an ihrem Handgelenk. »Sein Kanu kenterte, und er ist ertrunken. Sally
behauptet immer, Isamas Tod sei kein Unfall gewesen. Aber die Polizei hat keinen Hinweis auf Fremdverschulden entdeckt.«
»Über was hat Isama genau geforscht?«
»Die DNS des Quastenflossers. Er hat eine Genkarte angefertigt. So etwas wie das hier.«
Sie deutete auf die T-Shirts , die als Verkaufsmuster an der Wand hingen. Sie waren mit verschiedenen Motiven bedruckt, mit einer zwinkernden Meeresschildkröte,
einem Fisch, der in allen Regenbogenfarben leuchtete, und auf einem der Shirts war ein Quastenflosser zu sehen, zusammen mit
etwas, das an eine Herzkurve erinnerte, ein Diagramm aus grünen, roten, gelben und blauen Linien, unter dem die Buchstabenfolge
ACCTGAG und ein weiteres Bild eines Latimeria gedruckt war.
»Das ist der Anfang der DN S-Sequenz «, sagte Aguilar. »Die erste, die Isamas Team in der Rhodes-Universität in Südafrika geknackt hat. Die Kurven zeigen die Anordnung
der DN S-Aminosäuren des Quastenflossers.«
|295| »Klingt kompliziert.«
»Speziell diese Sequenz ist Sally schrecklich wichtig ... Sie ist da fast zwanghaft, würde ich sagen. Sie hat auch dafür gesorgt, dass die T-Shirts damit bedruckt werden.«
Ihr Tonfall veranlasste Timo, sich die T-Shirts noch einmal anzuschauen.
»Wissen Sie etwas über Isamas Vater?« Er hatte beschlossen, alles zur Sprache zu bringen, was Zeromski erwähnt hatte. Zu den zentralen Themen hatte Yoshima Nishikawa gehört.
»Sie wollten wissen, wann, wohin und mit wem Nishikawa weggefahren war
«
, hatte Zeromski gesagt.
»Und ob ich in Marburg Nishikawas Vater gesehen hätte. Die Männer waren sehr dreist und wirkten bedrohlich
. .
.«
»Er starb kurz vor Isama. Das war eine schreckliche Zeit für Sally. Sie stand auch ihrem Schwiegervater sehr nah.«
»Lebte er in Japan?«
»Ja. Arbeitete aber viel im Ausland. Er war ein renommierter Teilchenphysiker. Mit seinem Team hielt er sich im CERN auf,
als sie in der Nähe von Lausanne einen Autounfall hatten. Die ganze japanische Gruppe kam dabei ums Leben.«
Timo notierte sich den Namen der Stadt.
Frau Aguilar blickte auf die Uhr und sagte leise: »Es ist wohl die Ironie des Schicksal, dass der Mann, der mit sechzehn Jahren
als Einziger seiner Familie Hiroshima überlebt hatte, sein Ende fand, indem er mit dem Auto von der Straße abkam und in den
Abgrund stürzte. Es war schrecklich ... Isama versuchte den Tod seines Vaters zu überwinden, indem er in die Natur ging. Wenige Tage später ist er ertrunken.
Ein Wunder, dass Sally das alles so gut überstanden hat.«
Die Frau trank von ihrem Saft und drehte das Glas in der Hand. Eine Weile schwiegen beide.
»Aber das Überleben ist ihr schwer gefallen?«, fragte Timo vorsichtig.
»Diese Frage stellen Sie ihr am besten selbst. Worauf ...«
»Sagen Sie offen, was Sie denken.«
|296| »Ich sagte ja schon, dass sie Isamas Tod nicht für einen Unfall hält, sondern ... für Mord. Und in ihrem Kopf hat das alles irgendwie damit zu tun ...« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung T-Shirt . »Sie trägt sogar einen Anhänger mit einer Latimeria-Darstellung an ihrer Halskette. Und selbst auf der Gedenktafel von Isamas
Urne steht etwas, das darauf hinweist.«
»Wo ist sie?«
»Auf dem Friedhof Vallcarca.«
Timo schrieb sich den Namen des Ortes auf. »Sagt Ihnen der Name Bronisław Zeromski etwas?«
Sie schüttelte den Kopf. Dann blickte sie erneut auf die Uhr und stand auf. »Ich muss hoch. Es dauert nicht lange.«
»Ich warte hier.«
Nachdem sie gegangen war, ging Timo zu den T-Shirts . Er richtete den Blick auf die farbigen Schlingen auf einem weißen Shirt mit Latimeria-Motiv. Nishikawas zwanghafte Fixierung
auf den DN S-Code des Fisches war seltsam.
Er kaufte sich bei dem jungen Verkäufer mit Pferdeschwanz das letzte Shirt in XL und stopfte es in seine Umhängetasche. Neue
Fragen hämmerten in seinem Kopf.
Sie wollten wissen, wann, wohin und mit wem Isama Nishikawa weggefahren war
.
Und ob ich in Marburg Nishikawas Vater gesehen hätte
...
Timo begriff nicht, was ein japanischer Teilchenphysiker mit der Sache zu tun haben konnte, aber irgendetwas an dem Sachzusammenhang
gefiel ihm nicht.
Maria Aguilar kam mit irritierter, ernster Miene zurück. »Ein Kollege hat mir gesagt, ein Amerikaner hätte sich nach Sally
erkundigt und seinen Besuch am
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