Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Hiroshima-Tor

Titel: Das Hiroshima-Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Zigarette.
    Timo brummte etwas Undefinierbares und stellte den Holzkorb auf der Treppe ab.
    »Hat Soile vor, sich allmählich Arbeit in Brüssel zu suchen?«
    »Hoffentlich. Aber wohl kaum in nächster Zeit. Das beim CERN ist ihr Traumjob.«
    Seine Mutter hatte Soile noch nie kritisiert, obwohl sie nicht gerade das innigste Verhältnis hatten. Sie wusste, dass sich
     Timo im Falle einer Auseinandersetzung ohnehin auf Soiles Seite stellen würde.
    |156| »Hast du was von Vater gehört?«, fragte Timo.
    Sie zog gemächlich an der Zigarette. »Wieso?«
    »Warum kannst du nicht einmal ohne Gegenfrage antworten?«
    Timo hätte seiner Mutter gern erzählt, was er über das Gerichtsverfahren gehört hatte, aber das schien ihm vorerst unmöglich.
     Vielleicht irgendwann später einmal.
    Offenbar hörte sie aber, dass seine Stimme einen ernsten Unterton hatte. »Er hat bei Meeri angerufen. Und sich auch nach uns
     erkundigt.«
    Die Schwester seiner Mutter hatte damals als Vermittlerin im schwierigen Scheidungsprozess fungiert.
    »Ich will mich mit ihm treffen.« Timo versuchte den Satz ganz normal, selbstverständlich auszusprechen, aber das gelang ihm
     nicht annähernd. Die Worte klangen nachdrücklich und trotzig.
    Seine Mutter hustete und nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette, als hätte sie den Satz gar nicht gehört. Timo hatte schon
     geahnt, dass sie eingeschnappt sein würde. Aus irgendeinem Grund nahm sie jedes Interesse an seinem Vater als Kränkung auf.
     Trotzdem wollte er seinen Vater nicht hinter dem Rücken seiner Mutter treffen.
    »Hast du gehört?«, fragte er, so sanft er konnte.
    Sie drückte sorgfältig die Zigarette in dem Gurkenglas aus, das als Aschenbecher diente. »Warum?«
    Ihr bitterer, resignierter Tonfall veranlasste Timo zu Ausflüchten.
    »Ich möchte ihn nach ein paar Dingen fragen.«
    Seine Mutter wandte sich ab. In Timos Augen sah sie kleiner und dünner aus als früher, und das Rauchen machte sie nicht gerade
     jünger.
    »Ich werde Meeri anrufen und sie nach seiner Adresse fragen«, fuhr er fort. »Jetzt.«
    Seine Mutter wollte gerade hineingehen, hielt aber im halb dunklen, engen Flur inne.
    »Gibt es etwas Bestimmtes, worüber du mit ihm reden willst?«, fragte sie in gewollt unverfänglichem Ton.
    |157| »Nein«, log Timo. »Nur ganz allgemein. Er wird langsam alt. Und ich bin auch kein Konfirmand mehr.«
    »Ich habe seine Adresse«, sagte die Mutter leise. »Wenn du sie unbedingt haben willst. Meeri hat sie mir mal geschickt. Ich
     wollte sie verbrennen, habe es dann aber doch nicht gemacht.«
    Sie verschwand im Wohnzimmer und wühlte dort in den Schubladen der Kommode.
    Timo ging in das Zimmer, das Aaro benutzte und in dem ein Computer stand. Das bisschen Abstand, das er von den Ereignissen
     des Vorabends gewonnen hatte, genügte, um ihm seine Energie zurückzugeben. Er hatte nicht vor, sich in Porvoo zu verstecken.
     Die Amerikaner hatten ihm keine Vorschriften zu machen.
    Er legte die Boulevardzeitung zur Seite, die er im Flugzeug mitgenommen hatte und deren ganze Titelseite dem Anschlag in Olkiluoto
     gewidmet war, unter der Schlagzeile: Sabotage an Atomkraftwerk. Mehr Informationen enthielt auch der dazugehörige Artikel praktisch nicht.
    Er stellte eine Modemverbindung her und überlegte, wann er seiner Mutter mitteilen sollte, dass er arbeitslos war. Zum ersten
     Mal fragte er sich, mit welcher Einstellung er den Rausschmiss eigentlich hinnehmen sollte. Könnte er die Kündigung als »neue
     Chance« begreifen? Wäre es nicht auch ohne Rausschmiss an der Zeit gewesen, etwas Neues zu riskieren? War es nicht wichtig,
     seinen Träumen zu folgen? Oder anders gefragt: Hätte er seinen Job hingeschmissen, wenn er im Lotto gewonnen hätte?
    Wahrscheinlich. Es war also geradezu ein Glück, ab und zu gefeuert zu werden, redete er sich in bester Ratgeber-Manier ein:
     Jetzt war er gezwungen, seinem Leben eine neue Richtung zu geben, die ihm mehr Zufriedenheit verschaffte, und nach etwas zu
     streben, was er
wirklich
wollte. – Aber was sollte das sein? Das war die große Frage.
    Grob gesehen gab es nur zwei Möglichkeiten. Er konnte versuchen, etwas Neues zu machen – oder zu einer »richtigen« Arbeit
     zurückkehren. Also entweder den Traumtänzer markieren |158| oder auf Nummer sicher gehen. Der Gedanke an den Kredit erleichterte die Entscheidung. Vielleicht war das einer der Entschlüsse,
     die man später bereute, aber die Entscheidungen waren dann zu treffen, wenn sie

Weitere Kostenlose Bücher