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Das Hiroshima-Tor

Titel: Das Hiroshima-Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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efeuberankten Gebäuden zwischen Eichen
     und Ahornbäumen. Auf dem Parkplatz neben dem gepflegten Rasen standen vier Autos und viele Fahrräder. Die Weidenkörbe an den
     Lenkstangen der altmodischen schwarzen Räder gefielen Timo. Alles wirkte behaglich und sicher, aber Timo blieb wachsam. Er
     wollte von niemandem an Vaucher-Langstons ehemaligem Arbeitsplatz gesehen werden.
    Auf dem Weg in den Great Court fiel sein Blick auf die Figur über dem Hauptportal. Sie stellte Heinrich VIII. dar, den Gründer
     des Colleges. Hier hatten auch Blunt, Burgess und Philby studiert, legendäre und romantisierte Spione. Der Great Court – einer
     von mehreren Courts des Geländes – war weitläufig und imposant.
    Auf einmal zögerte Timo. Er blieb stehen und sah sich um. Was beunruhigte ihn? Sein Puls ging schneller, und seine Achseln
     wurden feucht.
    Unsicher ging er weiter. Rechts lag die Kapelle und links, hinter |176| einer Rasenfläche, verschiedene Gebäude, eines älter und würdevoller als das andere. Das Licht in den hohen, schmalen Fenstern
     passte weniger zum Ambiente, denn es stammte von Neonröhren. Zwei junge Frauen gingen forschen Schrittes eine Treppe hinauf.
     Sie trugen Bücher unter dem Arm und waren in ein lebhaftes Gespräch vertieft. Ihre Stimmen hallten in Timos Ohren nach.
    Das Geräusch der zufallenden Tür verklang in der stehenden, schwülen Luft. Irgendwo gurrte eine Taube.
    Timo machte einen Schritt auf die Tür zu. Plötzlich blitzte am Rand seines Blickfeldes, links oben, in einem Fenster des zweiten
     Stocks, etwas ungemein Helles auf. Im gleichen Moment zersplitterte Glas. Timo taumelte durch die Kraft der Druckwelle zurück
     und spürte seine Ohren mit einem schmerzhaften Knall zugehen. Intuitiv warf er sich auf den Bauch, schützte seinen Kopf mit
     den Händen und registrierte die Erschütterung, als zwei Meter vor ihm ein Fensterrahmen auf den Boden krachte.
    Eine warme Flüssigkeit lief über seine Wange. Als er die Hand hob, sah er einen fingernagelgroßen Glassplitter im Handrücken
     stecken, von dem ein fast schwarz aussehendes Blutrinnsal ausging. Er zog den Splitter heraus und drückte die andere Hand
     auf die Wunde, während er taumelnd aufstand. Vollkommene Stille umgab ihn, obwohl er in einem der zerbrochenen Fenster einen
     Mann stehen sah, der aus vollem Hals schrie. Die Kleider des Mannes standen in Flammen, als er nach unten sprang. An einem
     anderen Fenster schrien zwei weitere Personen inmitten von Flammen. Timo nahm das alles wie durch Watte wahr.

|177| 25
    Schockiert öffnete und schloss Timo ein paar Mal den Mund. Dann versuchte er durch schlucken wieder zu Gehör zu kommen. Mit
     zitternden Händen tastete er nach dem Telefon in seiner Tasche und wählte die Notrufnummer. Er hörte noch immer nichts, aber
     als das Display die zustande gekommene Verbindung anzeigte, sagte er: »Trinity College. Explosion und Brand, mehrere Opfer.
     Gefahr weiterer Explosionen.«
    Er legte auf und wischte sich das Blut am Ärmel ab. Eines der beiden Mädchen, die gerade das Gebäude betreten hatten, kam
     heraus und schleifte ihre blutende Freundin hinter sich her. Timo wollte ihr helfen, aber da kam eine Frau angerannt, die
     ihrer Zielstrebigkeit nach zu schließen mehr von erster Hilfe verstand als er.
    Timo drückte noch einmal auf die Wunde an seiner Hand und starrte dabei auf einen Mann, der aus einer anderen Tür getorkelt
     kam. Ihm fehlte der gesamte Unterarm bis zum Ellbogen. Kurz darauf zuckte blaues Licht auf den Wänden der Gebäude, und von
     weit her drang das Heulen einer Sirene in Timos Bewusstsein.
    Er spürte einen festen Griff am Arm und drehte sich um. Eine Polizistin führte ihn zu einem Krankenwagen, der rückwärts durch
     das Tor in den Court gefahren kam. Timo öffnete und schloss den Mund noch ein paar Mal, und mit jeder Bewegung des Kiefers
     drangen wieder mehr Geräusche in sein Ohr.
    Erst jetzt begann er das Ausmaß der Zerstörung zu erfassen. Das Dach des Gebäudes war weitgehend eingestürzt, und das oberste
     Stockwerk glich noch immer einem Flammenmeer. |178| Wäre er etwas früher gekommen, wäre er in dem Gebäude zumindest schwer verletzt worden.
    Und wenn er es bis in den zweiten Stock geschafft hätte, wäre er jetzt tot.
    »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte ein Student, der in den Hof gekommen war, und hielt Timo eine Packung Taschentücher hin. »Sie
     bluten am Kopf.«
    Timo drückte ein Taschentuch auf die Wunde. »Wissen Sie, was das da oben

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