Das Hiroshima-Tor
war. Durch SETI wurden die ansonsten oft etwas abstrakten
Weltraumfragen auch für Aaro wenigstens ein bisschen konkreter. Wie acht |228| Millionen andere Menschen hatte Soile aus diesem Grund auch ihrer beider Namen übers Internet an die NASA geschickt. Dort
waren sie auf eine DVD übertragen worden, die dann mit dem Rover
Spirit
auf dem Mars landete.
Die Suche nach intelligentem Leben im All durch das Auswerten von Radiosignalen verlangte eine gewisse Hartnäckigkeit, aber
in dem Moment, in dem ein nicht zufälliges Signal empfangen würde, wären alle Mühen belohnt. Manchmal zeichnete die Grafik
deutliche Peaks auf den Bildschirm oder sogar ein regelmäßiges Säulendiagramm. Aber leider war das beim interstellaren Funkrauschen
eher üblich.
Soile versank in Gedanken und starrte auf den Bildschirm, ohne wirklich etwas zu sehen. Was würde Aaro sagen, wenn sie sich
von Timo trennte? Wie wäre das für den Jungen, wie würde er damit fertig werden? Freilich lebten sie in der Praxis ja schon
jetzt getrennt, weshalb sich an ihrem Alltag nicht groß etwas ändern würde.
Soile fuhr aus ihren Überlegungen auf. Dachte sie tatsächlich ernsthaft über Trennung nach? Das war ihr selbst bislang gar
nicht richtig klar gewesen.
Timo stieg bei den Tuchhallen in der Krakauer Altstadt aus dem Taxi. Eine Schar Tauben flog hinter altmodischen Laternen zum
klaren, frühherbstlichen Himmel auf. Er warf einen Blick auf den Stadtplan in der Touristenbroschüre, die er am Flughafen
mitgenommen hatte. Vom Flughafen aus hatte er auch Soile angerufen und ihr sicherheitshalber mitgeteilt, wohin er aus beruflichen
Gründen unterwegs war. Seit langem hatte sie im Gespräch mit ihm wieder einmal etwas Wärme und Menschlichkeit ausgestrahlt.
Ein gänzlich anderes Telefonat hatte Timo mit Helsinki geführt, um zu hören, ob die Festnahme im Fall Olkiluoto zu etwas geführt
hatte. Välimäki war noch wortkarger als sonst gewesen, und Timo hatte die für ihn interessanteste Frage nicht klären können:
Hatte die Festnahme in Stockholm Indizien gegen Heli |229| Larva hervorgebracht? Eigentlich hielt er das aber für unwahrscheinlich.
Er betrachtete die Renaissance-Schimären an den Traufen der Tuchhallen. Man sah an den Gebäuden ringsum noch immer, wie mächtig
Krakau im Mittelalter gewesen war. Mauern und Wachtürme hatten eine wichtige Kathedralenstadt umschlossen, den Sitz der polnischen
Könige und die Universität.
Das Menschengewimmel auf den Straßen wurde dichter. Timo sah erneut auf den Plan und wäre fast gegen eine alte Frau gestoßen,
die geräucherten Käse und Wollpullover verkaufte. Er ging am Kloster vorbei eine lange, schmale Gasse entlang und wich einer
eiligen Nonne mit wehenden Rockschößen aus. Der Sternenhimmel über den Ziegeldächern gewann an Tiefe, wie in einem Kunstfilm.
Schritte und Stimmen hallten gedämpft in der Gasse wider.
Das mittelalterliche Ambiente und der Sternenhimmel brachten Timo lebendig einen Familienausflug in den Ardennen in Erinnerung.
Er hörte Soiles Stimme, wie sie Aaro von den Ausmaßen des Universums erzählte: In unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße,
gebe es so viele Sterne wie Sandkörner am Strand – Hunderte Milliarden. Allein mit dem Teleskop könne man überdies Hunderte Milliarden weiterer Galaxien sehen, und diese wiederum
bildeten zusammen nur einen verschwindend geringen Teil des ganzen Kosmos. Es gebe mehr Sterne am Himmel als Sandkörner an
allen Stränden der Erde zusammengenommen.
Vor diesem Hintergrund kam einem das auch in dieser Stadt einst gepflegte mittelalterliche Weltbild vom Menschen als Mittelpunkt
des Universums geradezu lächerlich vor.
Timo setzte seinen Weg im Gewimmel der Florianska-Straße fort und las die Hausnummern über den Türen der ansprechend wirkenden
Läden. In den Cafés waren Jugendstilmöbel aus Nussbaumholz zu sehen, viele Spiegel und ein Charme, wie ihn nur die Patina
der Geschichte hervorbringen konnte. Die Schaufenster der Geschäfte mit ihrer Halogenbeleuchtung hätten auch in Berlin oder
Madrid sein können, aber zwischen ihnen standen |230| düstere, heruntergekommene Immobilien, die man im Westen nicht lange geduldet hätte.
In diese Kategorie gehörte auch das Café
Wierzynek
. Durch eine schiefe, quietschende Tür trat Timo in einen kleinen, verrauchten Saal, in dem, der Kleidung nach zu urteilen,
mehr Einheimische als Touristen saßen. Die Wände hingen voller
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