Das Hiroshima-Tor
Überraschung gewesen sein.«
»Doch. Wie sich herausgestellt hat, war besonders die astronomische und mathematische Befähigung der Maya noch weitaus
hochkarätiger,
als von Däniken behauptet hatte«, sagte Zeromski mit einem maliziösen Lächeln hinter seinem Schnurrbart.
»Ich habe immer geglaubt, dass er übertreibt und dramatisiert«, sagte Timo. Seine Aufmerksamkeit galt mittlerweile einem Mann
mit blonden Locken, der einige Tische weiter saß. Etwas an dessen Haltung und Benehmen machte Timo unruhig.
»Als von Däniken Ende der sechziger Jahre die Mathematik der Maya untersuchte, war man gerade erst dabei, den Schlüssel für
deren Hieroglyphenschrift zu finden«, sprach Zeromski weiter, der langsam richtig in Fahrt kam. »Wir wissen heute, dass zum
Beispiel die Berechnungen der Tierkreiszeichen und die Mars-Tabellen der Maya eine Abweichung von nur vierundzwanzig Stunden
auf eine Zeiteinheit von 26000 Jahren aufweisen.«
»Ich kenne mich in Mathematik nicht aus, aber das klingt erstaunlich.« Der Mann, den Timo im Auge hatte, blickte sich hin
und wieder nach ihnen um, aber das taten Menschen in Lokalen ja oft. Timo versuchte erst gar keinen Verfolgungswahn aufkommen
zu lassen.
|233| »Die Archäoastronomie ist erstaunlich.« Jetzt verschwand die Gelassenheit aus Zeromskis Gesicht. Er senkte die Stimme, in
die sich nun ein ängstlicher Klang einschlich. »Die Altertumssternkunde kann Dinge finden, die ein seriöser Wissenschaftler
einer anderen Disziplin nur schwer vortragen kann, ohne als Populist abgestempelt zu werden.«
Timo nahm einen Schluck Bier und versuchte mit seinen Gedanken auf dem richtigen Gleis zu bleiben. Fand sich in dem, was Zeromski
sagte, tatsächlich etwas, das den KGB oder die CIA interessieren könnte?
Selbstverständlich. Aber dann bewegte man sich bereits auf dem Terrain von ›Akte X‹, und Timo war kein Freund von Verschwörungstheorien.
Die überließ er lieber den Leuten, die sich darüber in endlosen Internet-Chats ausließen.
Weil Zeromski nicht von sich aus weiterredete, fragte Timo vorsichtig: »Haben Sie ein bestimmtes Beispiel im Sinn?«
Der Alte sah ihm fest in die Augen. »Je mehr man sich mit diesen Dingen auseinander setzt, auf umso mehr Fragen stößt man,
für die es schwer fällt, Antworten zu finden.«
»Meinen Sie die Karte von Piri Reis und so etwas?«, fragte Timo direkt. Es war Zeit, zur Sache zu kommen, und er versuchte,
eine natürliche Brücke zu Vaucher-Langston zu schlagen.
»Vielleicht auch die.«
War in Zeromskis Augen Wachsamkeit aufgeblitzt, oder bildete Timo sich das ein?
»Wollen wir nicht zu mir gehen?«, schlug Zeromski vor und trank sein Glas leer. »Ich könnte Ihnen etwas von dem Material zeigen,
das Sie nach Finnland mitnehmen können.«
Timo bat um die Rechnung. Instinktiv warf er einen kurzen Blick auf den blond gelockten Mann ein paar Tische weiter. Er las
Zeitung und trank dabei in aller Ruhe sein Bier.
Die Widersprüchlichkeit von Zeromski irritierte Timo. Einerseits war der Mann ein seriöser Wissenschaftler, andererseits schien
er vor allem daran interessiert zu sein, seine Texte zu veröffentlichen. Aber vielleicht schlossen sich diese Dinge ja nicht |234| aus, denn die Arbeit eines Wissenschaftlers war letztlich so gut wie bedeutungslos, wenn niemand davon erfuhr. Soile hatte
oft davon gesprochen. Nur ein publizierter Wissenschaftler existierte in den Augen des akademischen Betriebs.
Heli Larva hingegen war eine Wissenschaftlerin ohne eine einzige Publikation – Wissenschaftlerin allein in ihren eigenen Augen.
Aber das hieß nicht, dass sie von ihrem Verstand her in der akademischen Welt nicht hätte mithalten können. Timo konnte sich
vorstellen, was eine Polizeipsychologin über Heli Larva schreiben würde:
»Sie ist selbstbewusst und zielstrebig und handelt planmäßig. Als gescheiterte Wissenschaftlerin legt sie besonderen Wert
auf Exaktheit, harte Fakten und Kontrolle
.
. .«
Genau darum ging es auch bei dem Spielchen mit der Webkamera: um das Ausüben von Kontrolle, um Demütigung, um die Demonstration
der eigenen Macht.
Timo ärgerte sich, dass es Heli schon wieder gelungen war, sich in seine Gedanken zu schleichen. Er zahlte die Rechnung bei
der freundlichen Kellnerin, dann trat er mit Zeromski auf die Straße, auf der es im Laufe des Abends immer stiller geworden
war.
Jørgensen trank sein Glas leer und ließ das Geld auf dem Tisch liegen. Er hatte sich
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