Das Hiroshima-Tor
bereits Sorgen gemacht, weil Zeromskis
Begleiter mehrmals zu ihm herübergeschaut hatte. Noch mehr beunruhigt hatte ihn, dass ihm der Mann irgendwie bekannt vorkam.
Aber das konnte auch Einbildung sein.
Draußen nahm Jørgensen Kontakt mit Heinz auf, dessen Aufgabe darin bestand, Zeromski vom Lokal aus zu folgen.
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Der auf dem Flughafen Balice gemietete VW
Passat
fuhr von Westen her auf Krakau zu. Scott fuhr, Novak saß mit der Karte in der Hand neben ihm, Perry und Baumgarten nahmen
die Rückbank ein.
»Fahr geradeaus«, sagte Perry in der Wola Justowska vor einer Kreuzung. Sein GP S-Gerät blinkte.
Scott setzte mit seinen knochigen Fingern trotzdem den Blinker. Er folgte Novaks Handzeichen, das nach links wies.
»Heb dir die Technik für Situationen auf, in der wir sie wirklich brauchen«, sagte Novak.
Perry schnaubte. »Wir fahren einen unnötigen Umweg.«
»Wir haben es eilig. Bis zur Autobahn ist es ein Kilometer, sie führt fast bis ins Zentrum.«
»Was für eine Perspektive gedenken Sie in Ihrem Artikel einzunehmen?«, fragte Zeromski, während sie immer tiefer in das Gassenlabyrinth
der Altstadt eindrangen, abseits der üblichen Touristenwege. Statt Cafés und Boutiquen sah man rechts und links nur noch Lagerräume
und vernagelte Fenster.
Timo hatte Mitleid mit dem in Vergessenheit geratenen Wissenschaftler, der jetzt so voller Eifer war bei der Aussicht, in
eine finnische Zeitung zu kommen. Sein schlechtes Gewissen belastete Timo so sehr, dass es ihm schwer fiel, zu antworten.
»Ich dachte, ich werde vor allem über Ihre Bücher berichten. Ich befasse mich schon lange mit Ihren Werken und finde gerade
die Verknüpfungen mit Vaucher-Langston interessant – der übrigens vor kurzem gestorben zu sein scheint.«
|236| Zeromski blieb stehen. Stille. Er war auf der richtigen Spur.
»Was wissen Sie über Vaucher-Langston?«, fragte Zeromski nervös.
»Ich habe auf dem Weg hierher in der Zeitung davon gelesen.« Timo bemühte sich, seiner Stimme den Ton von Mitgefühl zu verleihen.
»Kannten Sie ihn gut?«
Zeromski wich ein Stück zurück. Es sah aus, als würde er am liebsten auf der Stelle davonlaufen. »Warum fragen Sie?«, wollte
er mit greller Stimme wissen. »Warum erkundigen Sie sich nach ihm?«
»Entschuldigung. Ich wusste nicht, dass ...«
»Kein Grund, um Entschuldigung zu bitten«, zischte der Alte und verstummte dann. Timo versuchte gar nicht erst, etwas zu sagen,
sondern wartete ab, welche Konsequenzen der misstrauische Mann aus der Situation ziehen würde.
»Gehen wir«, sagte Zeromski und setzte den Weg fort. Die Straßenlampen waren so spärlich, dass man sich beinahe vorantasten
musste. Am wolkenlosen Himmel waren nicht nur die helleren Sterne zu erkennen.
Plötzlich blieb Zeromski wieder stehen. Unmittelbar vor Timo starrte er zum Himmel. »In solchen klaren, stillen Nächten richteten
die Maya in ihrem Observatorium in Chichen Itza den Blick zu den Sternen. In der Stadt gab es keine Lichter, die ihre Sicht
beeinträchtigt hätten. Mit bloßem Auge konnte man sechstausend Sterne sehen. Die wichtigsten für sie waren Vega, Sirius, Orion,
Cassiopeia, Capella ...«
Zeromski vermittelte die souveräne Ausstrahlung eines Menschen, der sich in seinem Gebiet auskennt. Solche Menschen hatte
Timo schon immer beneidet.
»Von den Planeten beobachteten sie besonders die Venus. Copán, eine der Maya-Städte, war das Zentrum des Venus-Kults. Aber
auch Mars und Jupiter wurden durchgängig beobachtet.«
Timo hätte das Gespräch nur zu gern wieder auf Vaucher-Langston gebracht, aber er wagte es nicht, das in allzu durchsichtiger
Weise zu tun.
|237| Zeromski richtete den Blick erneut in den Nachthimmel. »Die älteste bekannte Sternkarte der Welt wurde vor 32500 Jahren in den Knochen eines Mammuts geritzt«, sagte der alte Herr mit leiser, bewegter Stimme und wies zum Himmel. »Sie zeigt
das Sternbild des Orion. Dort ...«
Jetzt sah Zeromski Timo direkt in die Augen. »Ich habe gesagt, ›die älteste
bekannte
Sternkarte‹ ... In Schulen und Universitäten wird gelehrt, dass sich unsere gegenwärtige Zivilisation in sozialer und technologischer
Hinsicht linear entwickelt hat, von einer Entwicklungsphase zur anderen, vom Höhlenbewohner zum modernen Menschen«, sagte
er konzentriert. Die Dunkelheit der schäbigen Gasse nahm seine Worte auf.
Wieder setzte sich Zeromski in Bewegung. »Um diese Vorstellung zu illustrieren,
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