Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
habe und er mich gestreichelt und mir ein paar erstaunliche Sachen gesagt hat. (Ich weiß nicht mehr genau, was – aber es war erstaunlich .)
»Erinnerst du dich an die Stufen?«
»Die Stufen!« Ich stöhne. »Wie haben wir das bloß geschafft ?«
Die Herberge stand oben auf einer Klippe. Um hinunterzukommen oder vom Strand wieder hinauf, waren hundertdreizehn Stufen in den Stein gehauen. Mehrmals täglich sind wir rauf- und runtergehüpft. Kein Wunder, dass ich so schlank war.
»Kannst du dich an Sarah erinnern? Was ist aus ihr geworden?«
»Sarah? Wie sah sie aus?«
»Hübsch. Tolle Figur. Seidige Haut.« Er scheint die Erinnerung zu inhalieren. »Sie war Arthurs Tochter. Du erinnerst dich bestimmt.«
»Ach, ja.« Ich bin nicht scharf darauf, von der seidigen Haut anderer Mädchen zu hören. »Weiß nicht genau.«
»Vielleicht ist sie abgereist, bevor du kamst.« Er zuckt mit den Schultern, geht zum nächsten Thema über. »Erinnerst du dich an die alten Videos von Dirk & Sally ? Wie oft haben wir uns die angesehen?«
»Dirk & Sally!« , rufe ich. » O mein Gott!«
»Partner vor dem Altar, Partner auf Streife« , fängt Ben an, mit dieser altmodischen Erzählerstimme.
»Partner bis zum Tode!« , stimme ich mit ein und hebe den Arm zum Dirk & Sally -Salut.
Ben und ich haben jede einzelne Folge von Dirk & Sally ungefähr fünftausendmal gesehen, nicht zuletzt, weil es in der Herberge keine anderen Videokassetten gab, und man musste doch mal irgendwas anderes gucken als immer nur griechische Nachrichten zum Frühstück. Es ist eine Detektiv-Serie aus den Siebzigern über ein Pärchen, das sich auf der Polizeischule kennenlernt und beschließt, im Dienst geheim zu halten, dass sie verheiratet sind. Keiner weiß davon, nur der Serienkiller, der droht, sie zu verraten. Genial .
Auf einmal sehe ich direkt vor mir, wie ich mit Ben auf diesem alten Sofa im Esszimmer sitze, unsere braun gebrannten Beine ineinander verschlungen, beide mit Espadrilles an den Füßen, und wir essen Toast und gucken Dirk & Sally, während alle anderen draußen auf der Terrasse sind.
»Die Folge, in der Sally vom Nachbarn entführt wird«, sage ich. »Das war die beste.«
»Nein, als Dirks Bruder bei ihnen einzieht und er Koch für die Mafia wird und Dirk ihn dauernd fragt, wo er kochen gelernt hat, und dann landen die Drogen im gedeckten Pfirsichkuchen …«
» O mein Gott, ja !«
Beide halten wir kurz inne, verloren in der Erinnerung.
»Ich bin noch nie jemandem begegnet, der Dirk & Sally gesehen hat«, sagt Ben. »Oder auch nur davon gehört.«
»Ich auch nicht«, stimme ich zu, obwohl ich ehrlich sagen muss, dass ich Dirk & Sally mehr oder weniger vergessen hatte, bis er eben davon anfing.
»Die Bucht.« Rastlos fliegen seine Gedanken umher.
»Die Bucht. O mein Gott.« Ich sehe ihm in die Augen, und mir fällt alles wieder ein. Fast bin ich gelähmt vor heißem, pubertärem Verlangen. In der versteckten Bucht sind wir uns zum ersten Mal nah gekommen. Und dann immer wieder. Jeden Tag. Es war ein kleiner Sandstrand, den man nur mit dem Boot erreichen konnte, und das war allen anderen zu mühselig. Ben segelte uns immer hinüber, meist schweigend, nur manchmal warf er mir einen vielsagenden Blick zu. Ich saß da, die Füße auf dem Rand des Bootes, seufzend vor Ungeduld.
Jetzt sehe ich ihn mir an, über den Tisch hinweg. Ben denkt genau dasselbe wie ich. Das spüre ich. Er ist wieder dort. Er sieht genauso verzückt aus, wie ich mich fühle.
»Wie du mich gepflegt hast, als ich diesen Grippevirus hatte«, sagt er langsam. »Das habe ich nie vergessen.«
Grippevirus ? Ich kann mich gar nicht erinnern, ihn gepflegt zu haben. Aber wenn er es sagt, wird es wohl stimmen. Und ich möchte ihn nicht unterbrechen oder ihm widersprechen, weil es die Stimmung zerstören würde. Also nicke ich wie zur Bestätigung.
»Du hast meinen Kopf gehalten. Du hast mich in den Schlaf gesungen. Ich habe im Fieber fantasiert, aber deine Stimme hat mich durch die Nacht geleitet.« Er nimmt noch einen Schluck Wein. »Du warst mein Schutzengel, Lottie. Vielleicht bin ich vom rechten Weg abgekommen, weil du nicht Teil meines Lebens warst.«
Sein Schutzengel. Das ist so romantisch. Mich interessiert, wie er vom rechten Weg abgekommen ist – aber das würde wohl den Moment zerstören. Und es ist auch egal. Jeder kommt mal vom rechten Weg ab. Danach kommt man wieder zurück. Es ist doch egal, was man in der Zwischenzeit getrieben
Weitere Kostenlose Bücher