Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
wunderschöne Musik.«
Das stimmt nicht. Musik ist mir völlig egal, und wenn Lottie etwas aufmerksamer wäre, würde sie sofort merken, dass ich sie auf den Arm nehme. Aber sie wendet sich ab, gedankenverloren. Sind ihre Augen etwas glasig?
»Ich hatte mir immer vorgestellt, dass du bei Orgelmusik vor dem Altar einer alten Dorfkirche kniest«, sinniere ich vor mich hin und reibe Salz in die Wunde. »Nicht in einem Standesamt. Komisch eigentlich.«
»Ja.« Sie sieht mich nicht mal an.
»Da-da- daaah -da-da-da- da - ah -da …« Ich summe die Melodie von » I Vow to Thee, My Country«. Natürlich kann ich den Text nicht, aber die Melodie reicht schon. Damit kriege ich sie.
Ihre Augen sind tatsächlich glasig. Okay, das ist der Moment zuzuschlagen.
»Wie dem auch sei!« Ich höre auf zu singen. »Entscheidend ist, dass es für euch ein ganz besonderer Tag wird. Und er wird bestimmt perfekt. Kurz und bündig. Kein dummes Herumgehühnere mit Musik oder Chorknaben oder Glockengeläut von einem Dorfkirchturm. Nur schnell rein und raus. Einen Wisch unterschreiben, ein paar Worte sagen, und schon seid ihr damit durch. Lebenslänglich«, füge ich hinzu. »Finito.«
Fast komme ich mir grausam vor. Ich sehe, dass ihre Unterlippe leicht bebt.
»Erinnerst du dich noch an die Hochzeitsszene bei The Sound of Music ?«, füge ich beiläufig hinzu. »Wenn Maria zum Gesang der Nonnen den Gang hinabschreitet und ihr endlos langer Schleier weht …«
Übertreib es nicht, Fliss.
Ich halte den Mund, nippe an meinem Champagner und warte. Ich sehe Lotties Augen flackern, weil sie überlegt. Ich spüre ihren inneren Konflikt zwischen Lust und Romantik. Ich glaube, die Romantik ist gerade auf dem Vormarsch. Ich glaube, die Geigen spielen lauter als die Buschtrommeln. Sie sieht aus, als käme sie langsam zu einer Entscheidung. Bitte geh in die richtige Richtung, mach schon …
»Fliss.« Sie blickt auf. »Fliss …«
Ich bin die Weltmeisterin der Brautflüsterer.
Es gab keinen Streit. Keine Auseinandersetzung. Lottie glaubt, es sei ihre Idee gewesen, alles zu verschieben. Ich war diejenige, die gesagt hat: »Bist du sicher, Lottie? Meinst du wirklich, dass du die Hochzeit verschieben solltest? Bestimmt?«
Ich habe ihr die Idee einer Landhochzeit mit Musik und Chor und Glockenläuten total schmackhaft gemacht. Sie hat schon den Namen des Kaplans unserer alten Schule herausgesucht. Jetzt träumt sie von Satin und Sträußchen und » I Vow to Thee, My Country«.
Was gut ist. Nichts gegen Heiraten. Nichts gegen die Ehe. Vielleicht ist es Ben vergönnt, mit ihr alt zu werden, und ich werde mir selbst in den Hintern treten, wenn sie zum zehnten Mal Oma wird, und ich werde denken: »Was war bloß los mit mir?« Aber so kann sie erst mal ruhig durchatmen. So kann sie sich Ben wenigstens eine Weile ansehen und überlegen: »Hmm. Sechzig Jahre mit dir. Ob das eine gute Idee ist?«
Lottie ist rüber zum Standesamt gegangen, um Ben die Neuigkeit zu unterbreiten. Mein Werk ist getan. Jetzt bleibt mir nur noch, ihr die Zeitschrift Brides zu kaufen. Und morgen treffen wir uns dann auf einen Kaffee und plaudern entspannt über ihren Schleier, und später – am Abend – werde ich Ben endlich kennenlernen.
Ich warte darauf, die King’s Road zu überqueren, gratuliere mir im Stillen zu meiner Genialität, als ich ein Gesicht sehe, das ich erkenne. Hakennase. Windzerzauste dunkle Haare. Rose im Knopfloch. Er ist ungefähr drei Meter groß und marschiert den Bürgersteig auf der anderen Straßenseite entlang, mit einer finsteren Miene, wie man sie aufsetzt, wenn ein reicher, bester Freund in die Fänge einer Frau geraten ist, die es auf sein Geld abgesehen hat, und man den Trauzeugen spielen soll. Im Gehen verliert er seine Rose, und er bleibt stehen, um sie aufzuheben. Angewidert starrt er sie an, dass ich fast lachen möchte.
Ha. Mal sehen, wie er es findet, wenn ich ihm erzähle, was passiert ist. Wie heißt er noch? Ach ja, Lorcan.
»Hi!« Als er weitergeht, winke ich wie wild. »Lorcan! Halt!«
Er geht so schnell, dass ich ihn nie im Leben einholen könnte. Er stutzt und dreht sich skeptisch um, und ich winke noch mal, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.
»Hier drüben! Ich muss mit Ihnen sprechen!« Ich warte, bis er die Straße überquert hat, dann trete ich an ihn heran, schwenke meinen Blumenstrauß. »Ich bin Fliss Graveney. Wir haben gestern telefoniert? Lotties Schwester?«
»Aah.« Seine Miene hellt sich kurz auf,
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