Das Hohe Haus
Ihre Jacke ist Mimikry-Grau. Sie passt sich der Wand hinter dem Rednerpult an, die ihren Schatten nur schwach konturiert. Die Kanzlerin, auch sie mit einem Sinn fürs Dramaturgische, kommt heran wie Hans Meiser in »Notruf«, unmittelbar vom Schauplatz des Geschehens. In wenigen Sätzen hat sie mitgeteilt, dass »ein hartes Stück Arbeit« hinter ihr liege, dass das Resultat »in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen« sei, ja, dass »nur wenige dieses Ergebnis für möglich gehalten« hatten, dass sich »die Anstrengung gelohnt« habe, die den Kompromiss ermögliche, der auch die »einzigartige Erfolgsgeschichte dieser europäischen Idee« kennzeichne.
Die Art, wie sie spricht, folgt wohl der Idee dessen, was man »staatsmännisch« nennt, ohne dafür ein weibliches Pendant gefunden zu haben. Es handelt sich um einen bürokratisch auftretenden Deklarationsstil, der die große Geste, das einprägsame Bild, die treffende Metapher, die rhetorische Überraschung, den wahrhaftigen Appell meidet. Der Regierungsapparat verlautbart. Es spricht die Behörde. Merkel sagt »Planbarkeit und Planungssicherheit«. Ihr Stimmklang hallt aus der Kuppel ganz leise nach, die Sonne scheint auf die Rückwand. Sahra Wagenknecht lässt sich vom Saaldiener ein Glas Wasser bringen. Die Regierungsbank hört zu, teils mit der Hand am Kinn, gehorsam auf die üblichen Displays, das Getuschel, das Aktenstudium verzichtend. Erstmals erlebe ich dies Parlament so, wie ich es mir früher vorgestellt hatte. Einmal sind alle Augen vorn. Für fünf Minuten meldet sich kein Zwischenruf. Dann ein einzelnes »Wo denn?«.
Die Rede der Kanzlerin braucht Begriffe wie »Augenmaß« und »Spielräume«, so wie sie Vokale braucht. Sie braucht auch die Anrufung des »Verbindenden«, aber so diffus, wie es ist, will ihm niemand applaudieren außerhalb der eigenen Koalition. Die »Investition in die Zukunft« kriegt schon schwächeren Applaus, und die Gefolgschaft verrät sich am ehesten, wo Merkel sich der politischen Folklore zuwendet und sagt: »Schließlich haben wir erreicht, dass darauf hingewiesen wird, dass es notwendig ist, insbesondere für die ostbayerischen Landkreise entlang der tschechischen Grenze Beihilferegelungen anzustreben, die die Brüche zwischen der Tschechischen Republik und Bayern nicht zu groß werden lassen.«
Die Koalition beklatscht das Ungetüm des Satzes ungeachtet seiner Aussage: dass nämlich erreicht wurde, dass man hingewiesen hat, dass angestrebt werden solle. Aber Bayern kam vor. Das reicht dem genügsamen Claqueur. Und so setzt die Kanzlerin noch mal nach: »Die Gegebenheiten sind unterschiedlich, und man muss an alles denken.« Das klingt nach der Sorge der guten Hausfrau, und so bricht sich denn die Freude bei Abgeordneten der CDU / CSU und der FDP so ungehemmt Bahn, dass sie, jetzt auch Regierungspädagogin, mahnt: »Meine Damen und Herren, was ich jetzt sage, ist wichtig; deshalb bitte ich trotz der Freude über die Zukunft der ostbayerischen Landkreise noch einmal um ein klein wenig Konzentration.«
Merkel kämpft sich durch ihre Sache wie eine Person, die den Umgang mit Begriffsstutzigen gewohnt ist. Sie spricht jetzt, als grübe sie sich heraus aus dem Innersten des europäischen Bergwerks und apportiere, noch geblendet vom Tageslicht, Termini. Ihre Faust skandiert die Silben der wichtigsten Worte. Denen baut sie gern einen Sockel aus: »Ich darf heute sagen«, »Ich sage es ganz unmissverständlich«, »Ich kann auch sagen«, »Wir müssen sagen«, »Um es andersherum zu sagen«, gerne auch à la Kohl: »Ich sage ganz klar«, »ich sage in aller Deutlichkeit« und anschließend: »Ich bin fest überzeugt«, wenn nicht gar: »Ich bin aus tiefstem Herzen überzeugt«. Linguistisch würde man sagen, bei ihr wird der Sprechakt nur bezeichnet, nicht durchgeführt. Sie sagt, dass sie sagt, was sie gesagt hat. Auch in dieser elliptischen Form verrät sich ein politischer Stil.
Merkel steht auch dafür, politische Anästhesien zu erzeugen. Sie chloroformiert ihr Publikum. Themen, von denen jeder fragt, warum sie keinen Rang auf der politischen Agenda behaupten, werden von ihr verödet: Das ist beim NSA -Abhörskandal so, bei den ertrunkenen Flüchtlingen von Lampedusa oder auch in den deutschen Indolenzzonen wie dem Anstieg der Lebensmittelpreise, der viele Bedürftige hart trifft. Merkel gelingt eine Depolitisierung bei existentiellen Themen, denn sie weiß, was ein griechischer Rentner ist, interessiert
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