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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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gefunden zu haben. Doch wenn ich ihn zum zweiten Mal höre, weiß ich, es war nur sein Redenschreiber, der ihn einmal so gut erscheinen ließ. Manche Redner sind eben multiple Personen, man tut ihnen unrecht, nimmt man sie als Entität. Manchmal hören sie auch wirklich zu, aber dann oft, weil sie bloß müde sind vom Dazwischenrufen oder Ignorieren. Gerade kehrt Horst Meierhofer ( FDP ) an seinen Platz zurück und lässt sich feiern. Wofür? Ich habe bloß behalten: Die FDP ist »beim Gülle-Bonus gesprächsbereit«.
    Im Arsenal der rhetorischen Mittel stecken die immer gleichen Werkzeuge: Zitate aus der Vergangenheit, der Vorwurf mangelnden Sachverstands, des Selbstwiderspruchs, der Weltfremdheit, der Heuchelei, der Inkonsequenz, der Unredlichkeit, des Opportunismus; der Missachtung des Stils, des Parlaments, ganz Europas; das Zitieren von Gerichtsbeschlüssen, Leitartikeln, Talkshows; der Vorwurf der Amoral, der niederen Beweggründe, der Vetternwirtschaft, des Verharrens im ewig Gestrigen, der Missachtung der Gesetze, der Blockade im Bundesrat, des Widerspruchs um jeden Preis, des Wankelmuts. Als Bindemittel wird Volksnähe simuliert, Zitate aus der Geistesgeschichte werden als Furnier verklebt, und das alles wird schließlich wie im Eiskunstlauf nach Kür und Pflicht absolviert und mit Haltungsnoten belohnt.
    Große Teile der Reden sind mir gerade nicht verständlich, weil sie Expertentum voraussetzen. Außerdem findet parallel ein Kompromissgipfel zum Klima statt, auf den man dauernd Bezug nimmt. Entscheidungen fallen also wieder anderswo. Ich gehe raus auf die Straße und lasse mich durch das Viertel treiben – auch, um so viel Nicht-Verstandenes zu entsorgen, um die Welt zu betreten, um die es im Hohen Hause gehen soll, und um aus dem Zwielicht in den Tag zurückzukehren. Heute habe ich Sahra Wagenknecht ganz allein spazieren sehen, die, mit ihrer hohen Gestalt und gekleidet in einen langen schwarzen Mantel mit Fellkragen, daherkam wie eine russische Diplomatin im Schnee.
    Als ich in die Zwielicht-Zone des Plenarsaals zurückkehre, wo sich das Kunstlicht aus dem dicht gesteckten Ring der Scheinwerfer mit dem Tageslicht aus der Kuppel und von der Rückseite hinter den Tribünen mischt, klagt Daniel Volk ( FDP ) gerade über »Heftigkeit und Lautstärke« der Opposition, über die »höchste Form der Verantwortungslosigkeit«, das Herbeireden von »Unsicherheit«: »Ich bin in dieser Hinsicht wirklich erschüttert. (Beifall bei der FDP und der CDU / CSU ).« Seine Attitüde ist die Herablassung. Er legt den Kopf auf die Seite, wischt ganze Fraktionen von der Landschaft der Menschheit und redet mehr und mehr mit der Absicht, nur den Fluss der Rede aufrechtzuerhalten. Er spricht, als sei er an allen Krisenherden zu Hause, will »mit internationalen Verhältnissen auf Augenhöhe verhandeln«, wirft ein »Hä?«, ein »Wissense«, ein unterdrücktes Lachen in die Runde, er mahnt und fordert auf und schmeißt ein paar rhetorische Hülsenfrüchte hinterher.
    In diesen Reden hat sich die Rhetorik so weitgehend von ihrem Gegenstand entfernt, dass man den Eindruck gewinnt, gewisse parlamentarische Entscheidungen können nur gefällt werden, weil es unter Umgehung der Realitätswahrnehmung geschieht. Es ist die Verleugnung dessen, was nicht zum eigenen Weltbild passt: So hält die Rhetorik das Weltbild des Ressentiments aufrecht, so wie es Ralph Brinkhaus ( CDU / CSU ) mit geradezu exemplarischer Schlichtheit und Animosität formuliert: »Ich bin jetzt 44  Jahre alt. In den siebziger Jahren haben mir meine sozialdemokratischen Lehrer erzählt, ich sei schuld am Hunger und am Elend der Welt. In den achtziger Jahren hat mir die Friedensbewegung – auch links – erzählt, ich sei schuld an einem drohenden Atomkrieg. Ende der 80 er Jahre haben mir die Grünen – auch links – erzählt, ich sei schuld am Tod der Wale, am Sterben der Wälder und an explodierenden Kernkraftwerken. In den neunziger Jahren war es die große Schuld Deutschlands, dass es eine unverdiente Wiedervereinigung gab. Wenn ich heute, im Jahre 2013 , in die freudlosen Gesichter einiger Vertreter von NGO s schaue, dann weiß ich nicht, woran ich heute wieder schuld bin. Und jetzt sind wir daran schuld, dass es Zypern schlecht geht und es keinen Weg aus dieser Krise findet. Das ist absurd; aber das ist seit vierzig Jahren linke Politik in diesem Land.«
    Nicht die Stammtischrhetorik ist es, die die Idee des Hohen Hauses blamiert, es ist vielmehr

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