Das Hohelied des Todes
da.«
»Ich trinke ihn schwarz, ohne alles«, sagte er.
Sie entdeckte den Obduktionsbericht.
»Sie kommen wohl gerade aus der Pathologie, was?« Sie deutete mit dem Kopf Richtung Wartezimmer. »Die Frau meines Partners und ihr Innenarchitekt haben sechs Monate und zehntausend Dollar dafür gebraucht, nebenan einen Hauch von Tod reinzukriegen. Die Geschmäcker sind eben verschieden. Aber egal. Was sagt denn der Gerichtsmediziner?«
»Der Bericht kam heute morgen rein. Hilft mir nicht viel weiter, aber andererseits gab es natürlich auch kaum Anhaltspunkte.«
»Was hat er denn herausgefunden?« fragte sie und nippte an ihrem Kaffee.
»Von der Knochenstruktur ausgehend, schließt er darauf, daß es sich bei den Unbekannten um weibliche Tote handelt – Teenager, höchstens Anfang Zwanzig. Wahrscheinlich Weiße. Die erste Jane Doe war einssechzig, einszweiundsechzig groß, zartgliederig. Sie war zu fünfundneunzig Prozent ausgewachsen. Nummer zwei war größer, vielleicht einssiebzig, und schwer gebaut. Den Knochenplatten nach zu urteilen, war sie völlig ausgewachsen. Die Leichen haben nicht so lange in den Bergen gelegen, wie ich dachte. Anhand der Hautfragmente geht der Gerichtsmediziner davon aus, daß sie vor circa drei Monaten dort deponiert wurden. Entweder lebten sie noch, als man sie verbrannte, oder sie wurden unmittelbar vor dem Verbrennen erschossen. Ihre Fäuste haben sich nämlich auf Grund der Hitze zusammengekrampft, was nur bei noch vorhandenem Muskeltonus möglich ist, also vor Einsetzen der Totenstarre. Außerdem hat er in den inneren Falten der Fingergelenke ein paar Papillarlinien gefunden, was uns aber auch nicht weiterbringt, wenn die Fingerabdrücke der Mädchen nicht irgendwo registriert sind. Bis jetzt hatte ich jedenfalls kein Glück damit. In unserem Computer haben wir nichts. Sie wurden mit demselben .38er erschossen – die Knochenrillen sind identisch –, vermutlich mit einem Colt.«
Decker warf den Bericht auf den Tisch.
»Der Pathologe meinte, Sie könnten vielleicht noch den einen oder anderen Punkt beitragen.«
»Lebendig verbrannt, sagen Sie?«
»Wahrscheinlich.«
»Schauderhaft«, sagte Hennon.
Decker hob hilflos die Hände. »Da draußen laufen jede Menge Perverse rum. Ich habe selbst eine heranwachsende Tochter. Ich muß mich beherrschen, damit ich sie nicht dauernd anrufe und mich erkundige, wie es ihr geht.«
»Und da werde ich immer wieder gefragt, wie ich es aushalte, tagaus, tagein fremden Menschen in den Mund zu sehen. Ich kann nur sagen, ich gebe mich allemal lieber mit faulen Zähnen ab als mit irren Mördern, die junge Mädchen bei lebendigem Leib verbrennen.« Sie seufzte und knipste den Röntgenbildbetrachter an. Decker holte sein Notizbuch heraus.
»Das brauchen Sie nicht«, sagte sie. »Ich habe Ihnen alles aufgeschrieben.«
»Ich mache mir gern Notizen.«
»Weil Sie versuchen, mit dem Rauchen aufzuhören«, sagte sie sachlich. »Sie wollen Ihre Hände beschäftigen.«
»Sie hätten Detektiv werden sollen.«
»Ihre Zähne verraten es – Raucherbelag. Wahrscheinlich auch noch Kaffeebelag«, sagte sie, auf seinen Mund blickend. »Tut mir leid. Berufskrankheit. Lassen Sie sich von Kelly einen Termin geben, dann poliere ich Sie Ihnen mal richtig schön auf, gratis.«
»Wenn ich das nächste Mal eine freie Minute habe, komme ich gern auf Ihr Angebot zurück.«
»Die Ausrede kenne ich.« Sie lächelte verschmitzt und klemmte ein Röntgenbild ein.
»Das ist die Panoramaaufnahme der Mundhöhle von Jane Doe eins. Sie umfaßt die gesamte Knochenstruktur, Unterkiefer und Oberkiefer von Ohr zu Ohr, so daß wir einen guten Gesamtüberblick über Kiefer und Gebiß bekommen. Details sind darauf nicht besonders gut zu sehen, aber man kann trotzdem erkennen, daß die hintersten Backenzähne noch nicht durchgebrochen sind. Das sind die da, die kleinen Zahnknospen im Kiefer.«
Sie zeigte ihm die vier Stellen auf der Röntgenaufnahme. Neben deutlich ausgeprägten Zähnen waren in den Kiefern vier kleine, weiße Scheiben zu sehen, die wie Wattebäuschchen aussahen und von weißen Kreisen umgeben waren.
»Was sind das für Kreise?« fragte Decker. »Die Auskleidung der Zahnsäckchen. Die kommt beim Röntgen immer durch. Auf diesen Aufnahmen hier können Sie ihre hintersten Backenzähne – die Weisheitszähne – viel besser erkennen.« Sie hängte mehrere kleine Röntgenaufnahmen vor den Betrachter. »Diese Bilder heißen Periapikalaufnahmen, und das hier sind
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