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Das Hohelied des Todes

Das Hohelied des Todes

Titel: Das Hohelied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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vorgestellt.«
    Mehr oder weniger, dachte er.
    »Hast du es Mom schon gesagt?«
    »Um Gottes willen, nein! Jedenfalls bis jetzt noch nicht. Du weißt doch, wie sie ist. Ich habe sie sehr lieb, aber sie hat immer noch nicht kapiert, daß ich kein kleines Kind mehr bin. Ich dachte mir, vielleicht könntest du es ihr irgendwie beibringen …«
    Schweigen.
    »Dad, bist du noch da?«
    »Hmm.«
    »Du weißt doch selber, es wäre viel sicherer für mich, wenn ich mit einem Jungen zusammenleben würde …«
    »Hmm.«
    »Und wenn wir uns die Kosten teilen, kommt es auch viel billiger.«
    »Hmm.«
    »Dann redest du also mit Mom?«
    »Nein. Wenn du alt genug bist, deine Wohnverhältnisse allein zu regeln, bist du auch alt genug, es mit deiner Mutter aufzunehmen. Aber ich bin auf deiner Seite, was dir aber wahrscheinlich, wie ich deine Mutter kenne, eher schaden als nützen wird. Wenn sie meine Meinung dazu hören will, lege ich ein gutes Wort für dich ein.«
    »Klingt fair … Bist du mir böse, Daddy?«
    »Nein … Eigentlich nicht.«
    »Du machst dir Sorgen.«
    »Du kennst mich doch. Bei mir dauert es immer seine Zeit, bis ich mich an etwas Neues gewöhnt habe. Mach dir um mich keine Gedanken. Aber paß auf dich auf, ja?«
    »Mach ich. Du magst Eric doch?«
    »Ja, er ist ein netter Kerl.«
    »Heutzutage ist es schwer, einen guten Jungen zu finden, Daddy.«
    »Es muß schon was Besonderes an ihm dran sein, wenn er dich angeln konnte. Jetzt geh, und arbeite weiter.«
    »Ich hab dich lieb, Daddy.«
    »Ich dich auch, Schatz.«
    »Bye.«
    Sie legte auf. Er starrte auf den Hörer und schüttelte verwirrt den Kopf.
     
    Decker saß allein auf seinem einsamen Doppelbett. Es hatte eine extra strapazierfähige Matratze und konnte einiges verkraften, aber in letzter Zeit hatte es nur ihn aushalten müssen.
    Vier verfluchte Monate.
    Wozu plagte er sich eigentlich mit diesen fremdländischen Wörtern, den seltsamen Symbolen und mystischen Konzepten herum, die ihn angeblich Gott näherbringen sollten? Auf seine eigene Art hatte Decker sich Gott schon immer nahe gefühlt. Auf der Grundlage gegenseitiger Toleranz waren sie zu einer Vereinbarung gekommen. Gott tolerierte Deckers menschliche Schwächen, Decker tolerierte Überschwemmungen und Erdbeben. Wozu tat er sich also diese Quälerei also an?
    Wegen Rina, dachte er. Tat er das alles bloß ihr zuliebe? Anfangs war es ihm nicht so vorgekommen. Er hatte nach etwas Spirituellem gesucht, nach einem Ausgleich zu seiner Arbeit. Aber mittlerweile war er sich nicht mehr so sicher, ob der orthodoxe Glaube die Lösung war. Er sah in seine Fibel.
    Schalom , Jeladim , stand in der ersten Zeile.
    Er konnte es lesen. Er konnte den hebräischen Satz tatsächlich lesen und verstehen. Jippii! Keiner seiner Kollegen auf dem Revier konnte »Guten Tag, Kinder« auf Hebräisch entziffern.
    Er las weiter.
    Mi ba? lautete die nächste Zeile.
    Vier volle Monate. Er drehte noch durch. Die Liebe hatte ihren Preis. Er war schließlich bereit, Rina entgegenzukommen, indem er sich sogar einem Erstkläßlerunterricht in Hebräisch unterzog, da konnte sie ihm doch verdammt noch mal auch ein paar Zugeständnisse machen.
    Abba ba , las er.
    Aber sie blieb ja nicht aus Sturheit hart, sondern aus ihrem tiefen Glauben heraus. Womöglich hätte es ihm sogar gelingen können, sie zu überreden, mit ihm zu schlafen, aber das wollte er auch nicht. Er wollte sich im heiligen Stand der Ehe mit ihr vereinigen. Sie hatten schon etwas für sich, diese alten, midianitischen Fruchtbarkeitsriten.
    Mi ba’a?
    Sie war religiös. In einer Welt kurzlebiger Moralvorstellungen und situationsgebundener Ethik blieben Rinas geistige Werte – die gut und gerecht waren – unverrückbar. Wie konnte er also erwarten, daß sie alles aufgab, was sie so verinnerlicht hatte, nur um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen?
    Ima ba’a.
    Und wie stand es um ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse? Es war chauvinistisch anzunehmen, daß er der einzige war, der körperlich litt. Wenn sie, die doch um einiges jünger war als er, ihre Triebe unterdrücken konnte, konnte er wenigstens ein bißchen Zurückhaltung an den Tag legen. Gib dir ein Jahr, sagte er sich. Priester halten es noch viel länger aus. Im Geist übersetzte Decker den hebräischen Text, und er war stolz, daß er ihn verstand. Wer kommt? Papa kommt. Wer kommt? Mama kommt. Na, dachte er, wenigstens kommt überhaupt einer.

4
    Die Büros der Foothill Division waren zu klein und zu eng. Da

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