Das Hohelied des Todes
die Möbel vom Flohmarkt hätten stammen können, fühlten sich die Leute aus der Nachbarschaft hier gleich wie zu Hause. Die Detectives beklagten sich nur selten über die altmodische Ausstattung oder die wackeligen Tische und Stühle, aber vor allem an heißen Tagen litten sie doch sehr unter der fehlenden Ellenbogenfreiheit.
Decker telefonierte mit einem Zahnarzt. Er erklärte ihm gerade, warum er die Röntgenaufnahmen eines bestimmten Mädchens brauchte, als er einen zweiten Anruf in die Leitung bekam. Er ließ den Zahnarzt warten.
»Decker«, meldete er sich.
»Hi …«
»Rina, ich habe noch einen Anrufer in der Leitung. Hättest du wohl einen Augenblick Zeit?«
»Es ist nichts Wichtiges …«
»Es dauert nur eine Sekunde, Schatz.«
»Also gut. Ich warte.«
Zurück zu Dr. Payne. »Pein« wäre allerdings der treffendere Name gewesen.
»Wenn Sie also bitte die Röntgenbilder, die Sie von Kristy Watkins haben, an Dr. Anne Hennon weiterleiten könnten …«
»Detective, ich gebe meine Unterlagen nur höchst ungern aus der Hand. Schließlich sind es keine Werbeprospekte, die man unter das Volk bringen will. Und bei den Prozeßlawinen in der letzten Zeit …«
»Das kann ich verstehen, Doktor, aber wir ermitteln in einer Mordsache.«
»Wenn ich sicher sein könnte, daß es sich bei dem Opfer tatsächlich um Miss Watkins handelte und daß die Röntgenbilder als letzter Beweis für die Identifizierung benötigt würden, wäre es mir wesentlich wohler dabei, sie ihr zuzusenden.«
Wenn wir das wüßten, brauchten wir sie nicht mehr, du Idiot!
»Dr. Payne, ich kann auch einen Gerichtsbeschluß erwirken, dann brauchen wir hier nicht länger herumzuplänkeln. Noch bitte ich Sie höflich darum, mir die Röntgenbilder freiwillig auszuhändigen. Wenn Sie sich weiter stur stellen, komme ich sie mir holen. Sie haben die Wahl.«
Längere Zeit war nur noch ein heftiges Keuchen in der Leitung zu vernehmen.
»Ich könnte Ihnen Kopien besorgen«, sagte Payne schließlich. »Aber ich garantiere Ihnen, daß die Qualität der Aufnahmen einiges zu wünschen übrig lassen wird.«
»Wir können bestimmt etwas damit anfangen, Doktor. Vielen Dank.«
Decker gab ihm Anne Hennons Adresse, dankte ihm noch einmal, machte eine obszöne Handbewegung und stellte Rina wieder durch.
»Na, was gibt’s?« fragte er.
»Nichts Besonderes. Ich wollte dir nur hallo sagen.«
Er lächelte. »Ich freue mich.«
»Du … du bist sicher sehr beschäftigt, hm?«
»Für dich habe ich immer Zeit.«
»Lieb von dir.«
Es entstand eine lange, unbehagliche Pause. Sie will etwas Bestimmtes, dachte er.
»Was hast du auf dem Herzen, Rina?«
»Wie kommst du darauf, daß ich etwas auf dem Herzen habe?«
»Ich frage ja bloß.«
Sie hüstelte erst, dann räusperte sie sich.
»Ich habe mir eine Waffe gekauft, Peter.«
Verdammt!
»Du hast was?« fragte er leise.
»Ich habe mir eine Waffe gekauft. Einen .38er Colt, Sechsschüsser, Detective Special. Den gleichen, den du benutzt, wenn du nicht im Dienst bist. Ich habe ihn registrieren lassen. Kannst du mir eine Lizenz besorgen?«
»Nein. Und überhaupt solltest du nicht mit einer Waffe spielen, wenn du nicht weißt, wie man damit umgeht.«
»Da hast du recht. Deshalb habe ich mich auch zum Schießunterricht angemeldet. Im Waffengeschäft Berry. Der Lehrer heißt Tom Railsback. Er sagt, er kennt dich.«
»Ja, wir kennen uns«, sagte Decker ruhig. »Tom ist ein feiner Kerl. Aber warum, Rina? Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?«
»Weil ich mit den Nerven völlig am Ende bin. Weil ich nachts ständig Geräusche höre. Weil ich seit dieser Vergewaltigungsgeschichte keine Nacht mehr ruhig geschlafen habe, und weil ich nicht valiumsüchtig werden will.«
»Schatz, so eine Sache zu verarbeiten, braucht seine Zeit. Das Schwein kann dir nichts mehr tun. Er sitzt hinter Gittern.«
»Vom Kopf her weiß ich, daß du recht hast. Aber ich kann nicht anders, es genügt mir nicht. Ich muß das Gefühl haben, daß ich selbst auf mich aufpassen kann.«
»Und dazu brauchst du eine Waffe als Krücke?«
»War das sarkastisch gemeint?« fragte sie in aller Unschuld.
Decker antwortete zögernd: »Mehr oder weniger.«
»Bitte, sei doch nicht so. Ich bin nicht leichtsinnig, Peter. Ich bin nicht impulsiv. Ich habe es mir gründlich überlegt. Ich glaube wirklich, daß ich eine Waffe brauche.«
»Aber warum hast du nicht vorher mit mir darüber gesprochen?«
»Ich habe das Thema schon ein dutzendmal
Weitere Kostenlose Bücher