Das Hohelied des Todes
angefangen, mich zu revanchieren, wie wir es besprochen hatten.«
Sie schwieg.
»Bist du noch da?« fragte er.
»Ja. Ich kann nicht fassen, daß Sie tatsächlich Wort halten.«
»Ruf mich in einer Woche wieder an«, sagte er. »Bis dahin müßte alles geregelt sein.«
»Okay. Mal sehen, was ich in der Zwischenzeit noch ausgraben kann.«
»Nein!« sagte Decker lauter als beabsichtigt. »Laß es gut sein. Wir werden Pode schon finden. Halt du dich jetzt raus.«
Sie schwieg wieder.
»Kiki, wenn du weiter rumschnüffelst, kommst du unter die Räder. Hab ich mich klar genug ausgedrückt?«
»He, bis jetzt ist mir schließlich auch noch nie was passiert. Ich kann selber auf mich aufpassen.«
»Kleines, das glaube ich dir gern«, sagte Decker etwas behutsamer. »Aber halt dich aus der Sache raus, bis ich dich in diesem Programm untergebracht habe, ja?«
Eine lange Pause am anderen Ende der Leitung.
»Wie ist es denn da so?« fragte sie zaghaft.
»Es ist ein wirklich gutes Heim, Kiki. Viele Bäume, Gras und ein Swimmingpool. Die Leute sind in Ordnung – streng, aber ehrlich. Es wird dir gefallen.«
»Kommen Sie mich mal besuchen?«
Decker zögerte, dann sagte er: »Nein. Aber was meinst du, wie schnell du da Anschluß kriegst, Kleines. Du findest bestimmt gute Freunde.«
»Und was ist, wenn ich es nicht schaffe? Ich meine bloß, wenn …«
»Kiki, jetzt laß es uns doch erst mal abwarten.«
»Es ist ja nur, weil ich gar nicht genau weiß, was ich eigentlich will. Sicher, ich will runter von der Straße, aber andererseits lasse ich mir auch nicht gern von anderen Leuten was sagen.«
»Du schaffst es schon.«
»Ich hab’ ziemliche Macken.«
»Macken hat jeder.«
»Gibt’s da auch einen Fernseher?«
»Klar.«
»Kann man sich Walley George angucken?«
Decker lächelte. »Du darfst bestimmt fernsehen.«
»Ich weiß nicht … Ich weiß einfach nicht, ob ich schon soweit bin. Vielleicht arbeite ich lieber weiter für Sie.«
»Kiki, du hilfst mir am meisten, wenn du dich nicht in Schwierigkeiten bringst, bis ich mich wieder melde. Okay?«
»Wie wollen Sie mich denn finden?«
»Hast du meine Karte noch?«
»Nein.«
»Dann komm heute in einer Woche aufs Revier. Hast du bis dahin noch genug Kohle?«
»Es wird schon.«
»Dann sei in einer Woche da.«
Sie schwieg lange.
»Ich bin ein bißchen nervös.«
»Das ist ganz okay, Kiki. Irgendwann ist jeder mal ein bißchen nervös. Sogar ein großer, starker, abgebrühter Bulle. Du kommst in einer Woche her. Abgemacht?«
»Abgemacht«, sagte sie und hängte ein.
Decker legte den Hörer auf die Gabel und lehnte sich zurück. Er fühlte sich gut. Marge brachte ihm eine Tasse Kaffee.
»Was zu trinken«, sagte sie.
»Danke.«
»Wieviel Schlaf hast du letzte Nacht abbekommen, Rabbi?«
»Ungefähr zwei Stunden.«
»Nimmst du dir heute vormittag frei?«
»Erst, wenn ich Pode gefunden habe.«
»Na, dann viel Glück«, sagte sie. »Ich muß los, in die Galleria.«
Sie knipste ihre Umhängetasche zu und warf einen mißmutigen Blick auf das Leder, das an den Nähten zerschlissen war. »Vielleicht sehe ich mich auch gleich nach einer neuen Tasche um, wenn ich schon mal da bin. Diese hier ist hinüber. Mir ist da drin mal eine alte Knarre, die ich immer mit mir rumgeschleppt habe, losgegangen. Danach war der ganze Boden rausgerissen. Ich hab’s mit Isolierband geflickt. Meinst du, es wird Zeit für eine neue?«
»Könnte nicht schaden.«
»Soll ich dir irgendwas mitbringen? Brauchst du was?«
»Nein, danke«, sagte er.
»Na, hast du was erfahren?« fragte Decker hoffnungsvoll.
»Nichts«, antwortete Hollander.
Wütend knüllte Decker einen Notizzettel zusammen und beförderte ihn in den Papierkorb. Marge war in der Galleria auch nicht weitergekommen. Wenn er nicht bald ein paar konkrete Beweise zutage förderte, würde er Lindseys Akte nie schließen können. Er hatte das Gefühl, ihr mehr zu schulden.
»Was ist denn der gute Dustin für ein Mensch?« fragte Decker.
»Ein Widerling«, sagte Hollander. Er zog seine Jacke aus, nahm sich einen Stuhl und setzte sich. Seine breiten Hinterbacken quollen über die Sitzfläche. »Von dem würde ich mir keinen Nietnagel schneiden lassen.«
»Was hast du ihn gefragt?«
»Also, zuerst hab ich mal versucht, mit ihm warm zu werden, wie das so schön heißt. Hab sein schickes Jackett bewundert. Ehe ich weiß, wie mir geschieht, hält er mir einen Vortrag über Mode und empfiehlt mir ein paar Boutiquen. Er
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