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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sitze, flüstert er etwas. Ich denke, er phantasiert, und sage nichts, da fängt er lauter an: ›Ksaw, tu was …‹ Ich trete näher, und er wieder mit seinem ›Ksaw, tu was …‹ Stefan, du bist doch Arzt, nicht wahr? Dann will ich dir verraten, daß ich eine gewisse Dosis Morphium mitgenommen hatte. Hätte er verlangt … Ich trug sie die ganze Zeit über in der Westentasche. Damals in der Nacht dachte ich, er wollte, daß ich es täte … du verstehst. Als ich ihm aber in die Augen sah, begriff ich, daß er von mir Hilfe erhoffte. Ich rege mich also nicht, und er fängt wiederan: ›Ksaw, tu was …‹ So ging es bis zum frühen Morgen. Dann beruhigte er sich. Ich mußte abreisen. Na ja … Gestern erzählte mir Aniela, sie hätte sich in der letzten Nacht ein wenig hingelegt; und als sie dann wieder nach ihm sehen wollte, war er schon tot. Aber er lag verkehrt im Bett.«
    »Wie verkehrt?« flüsterte Stefan angstvoll, ohne begriffen zu haben.
    »Na, verkehrt herum. Die Füße da, wo der Kopf hingehört. Warum? Woher soll ich’s wissen. Er wollte etwas tun, um das Leben zu halten …«
    In seinen zerknüllten Leinenhosen und dem bestickten Hemd, das über der Brust offenstand, Seifenspuren im Gesicht, senkte der Onkel langsam und nachdenklich den Kopf. Dann hob er ihn zu Stefan und musterte den Neffen ganz scharf mit seinen glühenden schwarzen Augen. »Ich erzähle dir das, weil du Arzt bist und aus der Familie … Du sollst Bescheid wissen! Trotz deiner Medizin. Und ich, unvorstellbar! Ich habe beinahe gebetet. So weit bringt’s der Mensch!«
    Der Dampf, der sich am Spiegel niedergeschlagen hatte, fiel jetzt in dicken Tropfen klatschend zu Boden. Eine Weile standen die beiden Männer schweigend. Plötzlich schreckten sie auf – die Uhr im Salon schlug laut, majestätisch und mit Bedacht die Stunde …
    Der Onkel kehrte an seine Waschschüssel zurück und begann sich mit Schwung Wasser über Gesicht und Nacken zu schleudern, spie hörbar aus, schnob das Wasser aus den Nüstern; Stefan beendete unterdessen eilig und verstohlen seine Toilette und schlich wortlos aus dem Bad.
    Im Speisezimmer war bereits gedeckt. Die bläulichen Eiszapfen hinter dem Fenster verdichteten die kristallene Tageshelle, goldfunkelnde Blitze spielten auf den Scheiben und im Glas des Uhrgehäuses, brachen sich in dergeschliffenen Karaffe auf dem Tisch in allen Farben des Regenbogens. Einer nach dem anderen erschienen Onkel Anzelm, ein Trzyniecki aus Kielce mit Tochter, Großtante Skoczyńska und Tante Aniela.
    Es gab reichlich heißen Kaffee mit Sahne, überdimensionale Brote, Landbutter und Honig; man frühstückte schweigend, alle schienen ihren Gedanken nachzuhängen, schauten durch die lichtüberfluteten Fenster und wechselten nur einzelne Worte. Stefan achtete peinlich darauf, daß ihm nicht etwa einer die Milchhaut in den Kaffee goß; er ekelte sich davor. Onkel Anzelm war mürrisch und nachdenklich. Obwohl eigentlich nichts Ungewöhnliches geschah, fiel es Stefan schwer, ruhig am Tisch zu sitzen. Er sandte seinen Blick immer wieder zu Onkel Ksawery hinüber, der als letzter gekommen war, in einer schwarzen, nicht zugeknöpften Jacke und ohne Krawatte. Stefan meinte, es sei doch zwischen ihnen beiden vorhin ein geheimer Pakt geschlossen worden, der auch für die Zukunft verbindlich sein würde, doch der Onkel beachtete seine bedeutungsvollen Blicke gar nicht, sondern formte Brotkügelchen und ließ sie über den Tisch rollen. In diesem Moment trat eine der aushelfenden Frauen ein und meldete so laut, daß es von der Tür durch das ganze Zimmer hallte: »Ein Herr ist da und möchte den jüngeren Herrn Trzyniecki sprechen.«
    Diese Unterscheidung »jüngerer Herr Trzyniecki« war noch eine Spur des Einflusses von Onkel Leszek, der es nicht lassen konnte, an Ksawerys Dienerschaft herumzuerziehen, sooft er bei seinem Bruder zu Besuch weilte. Einmal hatte er ein aufsässiges Mädchen, das hartnäckig behauptete, der »junge Herr Trzyniecki« und der »jüngere Herr Trzyniecki« seien ein und dasselbe, tüchtig abgekanzelt: »Das ist dir wohl zu hoch, was? Wenn du sagst: ›Herr, erleuchte seine Seele‹ oder: ›Herr, erleuchtenSie seine Seele‹, dann ist das für dich vielleicht auch noch ein und dasselbe, du Schaf?« Doch das war es nicht, woran Stefan in diesem Augenblick dachte; er fuhr vielmehr überrascht und verwirrt vom Stuhl auf und lief beinahe ängstlich, ein paar unartikulierte Laute zur Entschuldigung murmelnd, in den

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