Das Hospital der Verklärung.
Flur hinaus. Trotz der dort herrschenden Helligkeit konnte Stefan die Züge des Besuchers nicht erkennen, denn das Licht drang von der verglasten Veranda herein; er sah nur eine schwarze Silhouette auf sonnenüberflutetem Hintergrund. Der Fremde, noch im Mantel, hielt den Hut in der Hand; Stefan erkannte ihn erst, als er sprach.
»Staszek, du? Dich hätte ich als letzten hier vermutet!«
Stefan wollte den Ankömmling in den Salon führen. In der Tür machte er sich jedoch erst daran, ihm beinahe mit Gewalt den Pelzkragenmantel abzunehmen. Er trug ihn ins Vorzimmer, drückte den Gast in einen Sessel und zog für sich einen Stuhl heran.
»Daß man wieder mal von dir hört! Was machst du! Wie bist du hierhergekommen? Sag doch endlich was!«
Stanisław Krzeczotek, Stefans Studienfreund, lächelte verlegen und befriedigt zugleich. Stefans ungestüme Art brachte ihn aus der Fassung.
»Nun, wie soll’s mir gehen? Ich arbeite hier in der Nähe, in Bierzyniec. Gestern hörte ich zufällig von dem Begräbnis, das heißt vielmehr, daß dein Onkel …« Er hielt inne, wobei er Stefans Blick auszuweichen suchte, und fuhr dann fort: »Ich nahm also an, dich hier zu finden. Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht gesehen …«
»Ach … so ist das …« Stefan zerdehnte die Worte. »Moment mal, in Bierzyniec arbeitest du? Wer hätte das gedacht! Was, bist du etwa Kreisarzt geworden? Onkel Ksawery hätte mir aber doch …«
»Nein. Ich arbeite im Sanatorium, bei Pajaczkowski.
Ist dir doch ein Begriff, nicht? Wo du die Gegend hier kennst …«
»Aber ja! Daß mir das nicht gleich eingefallen ist! Im Sanatorium … Erlaube mal, als Psychiater demnach? Du willst dich der Psychiatrie verschreiben? Da hättest du dich aber sehr geändert!«
»Ich wußte ja selbst nicht, daß ich ausgerechnet dabei landen würde. Aber letzten Sommer wurde eine Stelle frei; ich habe die Anzeige der Ärztekammer gelesen und mich kurzerhand gemeldet.« Krzeczotek begann nun in seiner gewohnten Art zu erzählen, wie er nach Bierzyniec gekommen sei; sein Bericht war ein wenig umständlich und weitschweifig – das spannte Stefans Geduld auf die Folter, der den Freund mit zusammenfassenden Fragen anzuspornen trachtete. Trotzdem musterte er Stanisław mit unverhohlener Freude. Sie hatten sich in ihrem ersten Studienjahr kennengelernt, waren einander nähergekommen durch den Widerwillen, den sie beide anfänglich gegen das Sezieren hegten. Staszek wohnte nicht weit von Stefans Behausung und schlug ihm vor, sich gemeinsam vorzubereiten, was in Anbetracht der hohen Lehrbuchpreise und der Tatsache, daß es sich zu zweit besser studiert als allein, nur vorteilhaft wäre. Stefan hatte Krzeczotek bereits früher des öfteren gesehen, aber ihm lag nicht daran, ihn näher kennenzulernen, da er an Staszek gewisse streberhafte Züge entdeckt zu haben glaubte, und Streber konnte Stefan nun einmal nicht leiden. Er fand eigentlich erst zu ihm bei den bunten Abenden und Bällen, wo Staszek immer den Ton angab. Später kam Stefan dahinter, daß Staszeks überschäumendes Temperament nur Schein war. In Wirklichkeit war er ein junger Mann voller Skrupel, unsicher in seinen Entschlüssen. Er hatte Angst vor allem und jedem – seien es die Prüfungen, seine Kollegen, die Leichen, die Launen der Professoren oderdie Frauen. Mit großem Geschick hatte er sich die Maske eines Bruder Lustig geschaffen, die abzuwerfen er jede Gelegenheit wahrnahm. Das wunderte Stefan um so mehr, als die Mädchen Staszek ihre Gunst zuwandten und gern über seine Witze lachten. Staszek konnte nur in der Menge wirken. Bei zwei Mädchen wußte er sich noch Rat, indem er einen geistreichen Flirt gegen den anderen ausspielte, unter vier Augen hingegen enttäuschte er auf der ganzen Linie. Da galt es, sich aus den unverbindlichen Späßen hinauszumanövrieren und die Dinge ernsthaft ins Auge zu fassen; das wollte ihm aber nicht recht gelingen. Tanzen, Flirten und Süßholzraspeln waren ja überhaupt nur vorbereitende, gewissermaßen einführende Praktiken, etwa dem Radschlagen des Pfaus gleichzusetzen. Indes bestand Krzeczoteks gesellschaftliches Talent ausgerechnet darin. Stefan kam darauf durch die erstaunlichen Verwandlungen Krzeczoteks: Kaum hatte er einen Freundeskreis verlassen, dessen Seele er gewesen, wurde er still, in sich gekehrt und melancholisch. So folgten dann lange Gespräche zu zweit, Spaziergänge durch herbstliche Alleen, abendfüllende philosophische Betrachtungen, heftige Dispute,
Weitere Kostenlose Bücher