Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
hat er mich auch. Aber das fiel in der chaotischen Situation jenes September nicht ins Gewicht …«
    Herr Ksawery begann sein Rasiermesser am Riemen zu schärfen. Er vollführte diese Bewegung immer langsamer und präziser und sprach dabei ununterbrochen: »Unmittelbar vor der Operation, das Skopolamin hatte er schon, sagte Leszek: ›Das Ende, wie?‹ Ich glaubte natürlich, er meinte sich, und redete ihm zu wie einem Kranken. Er aber hatte an Polen gedacht. Ich sollte an sein Grab kommen und ihm leise sagen, wie es um Polen stünde. Dieser Phantast! Ja, aber wer hat schon gelernt, wie man stirbt? Als er wieder zu sich kam, fragte er mich, wie spät es sei. Und ich elender Trottel hab ihm die Wahrheit gesagt, ohne zu bedenken, daß wir die Uhren hätten verstellen sollen. Er als Mediziner mußte doch wissen, daß ein gründlicher Eingriff wenigstens eine Stunde, wenn nicht länger, dauert, während es bei ihm mit einer Viertelstunde getan war. Er hat also gewußt, daß es umsonst gewesen ist …«
    »Und dann?« fragte Stefan unwillkürlich, um dem drohenden Schweigen zu entgehen.
    »Dann brachte ich ihn zu Anzelm, er wünschte es so. Drei ganze Monate habe ich ihn nicht gesehen, erst im Dezember wieder … Aber was ich da erlebte, das war einfach unglaublich!«
    Onkel Ksawery legte vorsichtig mit geübtem Griff das Rasiermesser weg. Er stand jetzt neben Stefan und starrtezu Boden, mit einem Blick, als sähe er vor seinen Füßen etwas Ungewöhnliches.
    »Ich fand ihn im Bett vor, bis auf die Knochen abgemagert. Er konnte kaum noch Milch zu sich nehmen. Seine Stimme war ganz dünn, ein Blinder hätte es sehen müssen, hätte begriffen, aber er … Was soll ich dir sagen? Ich komme hin, und er ist in der fröhlichsten Stimmung! Er hatte sich den Fall schon nach seiner Fasson zurechtgestutzt: Die Operation sei gelungen, er nehme mit jedem Tag an Kräften zu, er sei auf dem besten Wege, gesund zu werden, und werde bald aufstehen können; Arme und Beine hat er sich massieren lassen und Aniela jeden Morgen einen Bericht über sein Befinden diktiert, damit der Arzt es leichter hätte mit der Behandlung … Und die Geschwulst war schon so groß wie ein Brotlaib. Aber Leszek ließ sich den Bauch ganz fest verbinden, um eine Berührung zu vermeiden, angeblich, weil dadurch die Narbe geschützt würde. Sprechen konnte man mit ihm überhaupt nicht darüber. Wenn es aber doch einmal dahin kam, dann meinte er, es habe nur eine Infiltration vorgelegen, und tat, als würde er von Tag zu Tag kräftiger und als wäre überhaupt nichts gewesen …«
    »Du denkst also, Onkel, er war … nicht normal?« fragte Stefan leise, ohne zu argwöhnen, was er mit diesen Worten heraufbeschwor.
    »Normal! Nicht normal! Was redest du nur, Dummkopf! Was weißt du schon! Ein normaler Todkranker, was heißt da normal! Da er sich den Krebs nicht aus dem Leib reißen konnte, verbannte er ihn aus dem Gedächtnis. Er log, glaubte selbst das, was er sich vormachte, und zwang andere, es zu glauben. Was weiß ich, wo das eine aufhörte und das andere begann! Immer leiser sagte er nun schon, daß es ihm besser gehe, und weinte jetzt auch ziemlich viel.«
    »Geweint hat er?« fragte Stefan in einer Art kindlichen Schauders; Onkel Leszeks stämmige Gestalt, wie er sie hoch zu Roß, die Doppelflinte mit den Läufen nach unten geschultert, so oft gesehen hatte, war noch frisch in seiner Erinnerung.
    »Jawohl, geweint. Und weiß du auch, warum? Man gab ihm Morphiumzäpfchen gegen die Schmerzen. Er führte sie sich selbst ein. Aber als ihm das einmal die Pflegerin besorgte, brach er in Tränen aus. ›Ich kann ja so schon nichts weiter als mit diesen Zäpfchen hantieren, und nicht einmal das lassen sie mich machen …‹ Aufstehen konnte er nicht, behauptete aber, keine Lust zu haben. Hatte er seine Milch getrunken, so meinte er, es lohne nicht, danach aufzustehen, etwas anderes wäre es, hätte er Fleischbrühe bekommen. Gaben sie ihm Brühe, dann hatte er prompt eine andere Ausrede. Na ja. Schon damals bedeutete es eine Quälerei, bei ihm zu sein und mit ihm zu sprechen. Er zeigte seine stockdürren Hände, damit man ihm bestätige, sie würden dicker; furchtbar argwöhnisch war er geworden. ›Was flüstert ihr da in den Ecken? Was hat der Doktor gesagt?‹ Schließlich schickte Tante Skoczyńska nach einem Priester. Der kam natürlich mit der Ölung. Ich hatte Gott weiß was erwartet, aber Leszek nahm das ganz ruhig hin. Doch als ich in der Nacht bei ihm

Weitere Kostenlose Bücher