Das Hospital der Verklärung.
daran, aufzubrausen. Dieser Sekulowski war entschieden über Gebühr gepriesen worden. Warum sollte er ihn also wie ein rohes Ei behandeln?
Sekulowski lachte leise und selbstgefällig. »Natürlich nichts«, sagte er. »Er amüsiert sich, mein Teuerster. Das weiß aber nicht jeder. Gibt man einem Hund ein Stück Wurst und läßt dabei ein Lämpchen aufleuchten, dann wird das Tier nach einer gewissen Zeit schon beim Anblick von Licht Speichel absondern. Zeigt man einem Menschen immer wieder tintenbekritzeltes Papier, so wird er bald behaupten, es sei der Entwurf einer Abhandlung über die Unendlichkeit der Welt. Alles ist zerebrale Physiologie, nichts weiter.«
»Und was ist demzufolge die Wurst für den Menschen?« fragte Stefan rasch. Er kam sich vor wie ein Fechter, der seinem Gegner einen gezielten Hieb versetzt hat. Sekulowski aber zögerte nicht mit der Antwort: »Die Wurst ist Einstein oder eine andere geeignete Autorität. Ist denn die Mathematik nicht eine Art geistiges Zeck? Und die Logistik, dieses Schachspiel mit den strengsten Regeln? Das gleicht jenem kindlichen Spiel mit der Schnur, die zwei Personen einander kunstvoll abnehmen, wobei sie die Figuren fortgesetzt anders schlingen, bis schließlich die Ausgangsstellung wieder erreicht ist. Kennen Sie Peanos und Russells Beweisführung, daß zwei plus zwei vier ist?
Sie nimmt eine volle Seite algebraischer Symbole ein. Jeder amüsiert sich und ich auch. Haben Sie vielleicht mein Stück ›Der Blumengarten‹ gesehen? Ich habe es ein chemisches Drama genannt. Bakterien sind die Blumen, der Garten ist der menschliche Körper, in dem sie sich vermehren. Dort wird ein verbissener Kampf zwischen Tuberkelbazillen und Leukozythen geführt. Nachdem sie sich der Panzer der Lipoide – einer Art Tarnkappen – bemächtigt haben, vereinigen sich die Bakterien unter der Leitung der Supermikrobe, besiegen die Armee der Leukozythen, und gerade in dem Augenblick, da sich ihnen eine glückliche und herrliche Zukunft eröffnen soll, stirbt ihnen der Garten unter den Füßen hinweg, das heißt, der Mensch kommt um, und die armen Pflänzchen müssen zusammen mit ihm dran glauben …«
Stefan kannte dieses Drama nicht.
»Verzeihen Sie, wenn ich immer nur von mir rede. Aber letztlich ist jeder von uns der Mittelpunkt der Welt im Entwurf, wenn auch nicht immer in guter Ausführung. Es gibt viel, sehr viel Pfuscherei bei der Menschenproduktion. Na, und die Welt« – er richtete den Blick auf eine Stelle unterhalb des Fensterbretts und lächelte, als hätte er dort etwas Komisches entdeckt –, »ist sie nicht eine Ansammlung der phantastischsten Absonderlichkeiten, deren allgemeine Verbreitung die Sache auch nicht erklärt … Natürlich ist es am einfachsten, zu tun, als sähe man nichts und das, was ist, existiere eben und damit Schluß. Für den täglichen Gebrauch tue ich es genauso. Aber das genügt nicht. Ich habe die Zahlen nicht mehr genau im Kopf – mein Gedächtnis trügt in letzter Zeit –, aber ich habe gelesen, wie unwahrscheinlich die Entstehung einer lebenden Zelle aus einer Häufung von Atomen ist … Die Chancen liegen ungefähr bei eins zu einer Trillion. Und wieviel braucht es, damit sich mehrere Billionenvon diesen Zellen entsprechend verbinden, um den Körper eines lebenden Menschen zu bilden! Jeder von uns ist ein Los, das den Hauptgewinn gezogen hat: einige Jahrzehnte Leben, ein großartiges Vergnügen. In eine Welt glühender Gase, bis zur Weißglut wirbelnder Spiralnebel, diamantenen kosmischen Frostes platzte auf einmal eine Fontäne von Eiweiß, einer gallertigen Schmiere, die sich sofort bemühte, in bakteriellen Gestank und in Fäulnis überzugehen … Hunderttausende von Kniffen erhalten diesen wunderlichen Sprung der Energie aufrecht, der die Materie wie ein Blitz in Zeit und Ordnung zerteilt: ein Raumknoten, der durch die Ödnis kriecht, und wozu? Damit der Himmel in irgend jemandes Auge seine Bestätigung finde? Verstehen Sie, in einem Auge? Haben Sie nie darüber nachgedacht, warum Wolken und Bäume, goldbraun im Herbst, im Winter dunkelgrau, warum diese durch die Jahreszeiten deklinierte Landschaft mit ihrer Schönheit auf uns einschlägt wie ein Hammer? Mit welchem Recht geschieht das? Müßten wir nicht eigentlich interstellares schwarzes Pulver sein, Nebelstreifen im Sternbild der Jagdhunde? Denn Norm ist doch das Brausen der Gestirne, die Sintflut der Meteore, Vakuum, Finsternis, Tod …«
Erschöpft lehnte er sich in die Kissen
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