Das Hospital der Verklärung.
entnahm gleichzeitig dem Sterilisator mit dem geübten Griff ihrer langen Zange ein talkbepudertes Päckchen.
»Zum Teufel noch mal!« Kauters schleuderte die Gummifetzen zu Boden. Seine Wut konzentrierte sich in den Falten rings um die Augen, dicker Schweiß trat ihm bläulich schimmernd auf die knochige, gewölbte Stirn. Da er in seinem Zorn die Kiefer leidenschaftlich zusammenpreßte, schwollen seine Schläfenmuskeln alle Augenblicke an. Er manövrierte immer brutaler mit dem Finger in der Wunde, riß erschlaffte Fetzen, nekrotische Fasern, Gefäßbündel heraus und klatschte sie zur Seite. Ganze Skalen von Beistrichen und Ausrufezeichen bedeckten schon den Fußboden.
Nach der elektrischen Uhr war es zehn: Die Operation dauerte bereits eine Stunde.
»Schauen Sie doch mal auf die Pupille.«
Stefan hob beflissen einen Zipfel des Lakens an, das schwer und steif war von dem geronnenen Blut, übersät mit rostbraunen Zungen. Das wachsbleiche, glänzende Gesicht Rabiewskis lag vor ihm. Stefan zog mit der Pinzette ein Augenlid hoch. Die Pupille war schmal. Plötzlich begannen die Augen des Patienten wild zu tanzen, als würden sie von einer Schnur nach beiden Seiten gezerrt.
»Na, was ist?« erkundigte sich Kauters.
»Augentanz«, erwiderte Stefan betroffen.
»Ja, ja, natürlich.« Die Stimme des Chirurgen klang spöttisch. Stefan blickte auf – Kauters ließ eine Nadel über die Rinde der Lappen schweifen. Das war also die Ursache. Tief aufgeschnitten, klaffte das Hirn. Die nekrotischen Zerfallsmassen wollten kein Ende nehmen. Sie verschmolzen in eins mit den Wicklungen und Windungen.
Stefan sah die Wundränder weit geöffnet wie einenMund; er sah die weiße Nervenmasse, die einer entschalten Nuß gleich hindurchschimmerte, und die graue, eigentlich leicht bräunlich gefärbte Substanz, ein schmaler Streifen nur im Schnitt. Hier und da blinkte wie ein Rubinauge ein Blutstropfen.
Der Chirurg schob nervös die Hirnwindungen, die dehnbar waren wie Gummi, beiseite und knurrte: »Machen wir Schluß!«
Das hieß resignieren. Jetzt arbeiteten die Finger des Operateurs schnell und geschickt, stießen die ausgebauchte Hemisphäre wieder in die Schädelhöhle, so gut es ging. Von neuem begann es irgendwo zu bluten. Kauters berührte das Gefäß mit der dunklen Spitze des elektrischen Messers und hemmte den Blutstrom. Er war gerade dabei, aus einem Finger seines Handschuhs ein kleines Abzugsröhrchen anzufertigen, als er plötzlich innehielt.
Stefan, der auf die letzten Vorkehrungen nicht mehr achtgegeben hatte, da er in den Anblick der mumiengleich eingehüllten Gestalt auf dem Tisch vertieft war, begriff: Die bisher noch atmende Brust regte sich nicht mehr. Ohne zu bedenken, daß er sich die Hände infizierte, packte der Chirurg von unten das Laken, das Gesicht und Brust des Operierten bedeckte, und schlug es zurück. Er lauschte eine Weile und wandte sich dann lautlos ab. Ein Tritt beförderte seine blutigen Gummigaloschen an die Wand. Schwester Gonzaga zog einen Zipfel des Lakens über das erstarrte Gesicht. Stefan trat an das offene Fenster, um Luft zu schöpfen. Hinter seinem Rücken warf Schwester Gonzaga die Instrumente auf die Metallunterlagen, Wasser brauste in den Autoklaven, Józef wischte das Blut vom Fußboden. Stefan lehnte sich zum Fenster hinaus. Vor ihm weite, schweigende Finsternis. An der Grenze zwischen Himmel und Erde – man konnte sie fast nur vermuten – ballte sich etwas zusammen, das schwärzerwar als die Nacht. Gleich einem mit gelben Brillanten besetzten Halsband im samtenen Futteral leuchteten in Bierzyniec die Magazine. Der Wind erstarb in den Zweigen, die Sterne zitterten. In den Ausgüssen plätscherte noch das Wasser.
WERKMEISTER WOCH
U NTER DER GLUT der Tage ging der Juni zur Neige. Das sanft hügelige Gelände bot sich den Blicken des Betrachters im malachitenen und hirschfarbenen Grün der Wälder dar, im silberzarten der Birken, im verschwimmenden der Abende und im kristallenen der Morgendämmerungen. Nicht enden wollendes Rauschen, nur übertönt von Vogelzwitschern, durchflutete in Wellen die Gegend. Der goldene Reif der Sonnenbahn teilte das Himmelsgewölbe in zwei Hälften, die einander immer mehr glichen.
Eines Nachts war das erste Sommergewitter da. Die Landschaft erstrahlte bläulich unter den zuckenden Blitzen wie ein Brillant.
Stefan unternahm lange Spaziergänge, die ihn querfeldein bis zum Wald führten. Von den Telegrafenmasten tönte eine klagende, wimmernde
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