Das Hospital der Verklärung.
Ohrlose gedehnt und stützte eine Hand ins Gras, um sich bequemer unterhalten zu können. »Sie sind also Arzt bei den …« Er tippte sich mit dem Finger an die Stirn.
»Ganz recht.«
Der Ohrlose lächelte kaum merklich. »Na, schadet ja auch nichts«, meinte er.
»Ist hier Betreten verboten?« fragte Stefan.
»Wieso? Keineswegs!«
»Also was?« Stefan verstand überhaupt nichts mehr. »Dann ist das hier kein Kraftwerk?« wagte er noch einmal zu fragen.
»Nein.« Diesmal antwortete es aus dem Haus. Hinter der Silhouette funkelten im dunklen Raum die Kupferleitungen. Der Alte lehnte sich aus dem Fenster, um seine Pfeife zu leeren. Bei dieser Bewegung glitten ihm die Ärmel hoch und ließen ausgedörrte Muskelstränge sehen.
»Das ist ein Schalthaus sechzig kV zu fünf«, sagte er noch und machte sich daran, die Pfeife zu stopfen.
Stefan wurde auch daraus nicht klug, aber er tat, als wüßte er Bescheid, und fragte: »Dann liefert ihr uns wohl den Strom ins Krankenhaus?«
»Hm«, versetzte der Alte und sog an seiner Pfeife, bis seine Wangen tiefe Löcher zeigten.
»Aber es ist doch erlaubt, sich in dieser Gend aufzuhalten?« wollte Stefan aus unklarem Anlaß noch einmal wissen.
»Es ist erlaubt.«
»Aber Sie sagten doch …« Stefan wandte sich an den jungen Mann, der grinsend seine scharfen Zähne entblößte.
»Ja, stimmt«, entgegnete dieser nach einigem Zögern.
Da Stefan keine Anstalten machte weiterzugehen, hielt es der Ohrlose für angebracht, die Situation zu klären.
»Er wußte nicht, was Sie für einer sind«, sagte er und blitzte Stefan mit seinen Äuglein an. »Er ist noch jung und unerfahren, da hat er sich eben geirrt. Aber, mit Verlaub, Sie sind ja auch ziemlich schwarz im Gesicht. Da konnte es schon passieren.« Als er merkte, daß Stefan noch immer nicht begriff, tippte er ihm freundschaftlich ans Knie und fuhr fort: »Nun, er hat gedacht, Sie sind einer von denen, die jetzt aus der ganzen Umgebung nach Bierzyniec geschafft werden …«
Er vollführte eine Geste, als wollte er eine Binde auf den rechten Arm streifen. Endlich ging Stefan ein Licht auf: Er hat mich für einen Juden gehalten und wollte mich warnen, dachte er. Dergleichen war ihm schon öfter widerfahren.
Der Ohrlose forschte in Stefans Zügen, ob er sich etwa beleidigt fühlte – aber Stefan war nur etwas rot geworden und schwieg.
Als Mann von Erfahrung wollte jener den Mißgriff wiedergutmachen.
»Sie arbeiten also im Krankenhaus, Herr Doktor?« sagte er. »Und ich arbeite hier. Ich bin der Werkmeister Woch. In letzter Zeit freilich war ich mal krank. Schade, daß ich Sie damals noch nicht gekannt habe«, fügte er heuchlerisch hinzu. »Sonst hätte ich mich von Ihnen behandeln lassen.«
»Ach, Sie sind krank gewesen?« fragte Stefan freundlich zurück. Er stand noch immer an demselben Fleck und brachte es nicht fertig zu gehen. Es war nun mal sein Unglück, daß er nie wußte, wie er ein Gespräch mit einem Fremden anfangen oder beenden sollte.
»Jawohl. Es begann damit, daß mein eines Auge hierhin und das andere dorthin schaute, dann drehte sich mir alles dauernd im Kreise, und dazu bekam ich eine unvorstellbar feine Nase.«
»Und was weiter?« fragte Stefan, verdutzt ob dieser Beschreibung.
»Nichts. Es ging von selbst weg.«
»Ach wo, gar nicht von selbst«, mischte sich der Alte hinter dem Fenster vorwurfsvoll ein.
»Na schön, nicht ganz von allein«, berichtigte sich Woch nachgiebig. »Eine fette Erbsensuppe mit Räucherspeck, in der der Löffel stand, dazu Spiritus mit Majoran – und alles war wie weggeblasen. Der Kollege hat’s mir geraten.«
»Das finde ich aber fabelhaft«, sagte Stefan, nickte den drei Männern hastig zu und entfernte sich rasch, da er fürchtete, daß Woch sich möglicherweise noch erkundigte, was für eine Krankheit es gewesen sei.
Erst auf dem nächsten Hügel sah er sich um. Dort auf dem Grunde der flachen Mulde stand das rote Häuschen, scheinbar unbewohnt, und aus seinen weit geöffneten Fenstern strömte unaufhörlich das tiefe Dröhnen, das ihn noch lange auf seinem Weg zum Sanatorium begleitete, abgeschwächt, aufgelöst schließlich von den Windstößen, bis es nicht mehr von dem Summen der Insekten zu unterscheiden war, die in der Sonne durch die erhitzten Gräser schwirrten.
Dieses im Grunde nichtige Erlebnis behielt Stefan lange im Gedächtnis, und es hatte ihn beeindruckt, als hätte es eine geheimnisvolle Bedeutung; zugleich besaß es in der Erinnerung eine
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