Das Hospital der Verklärung.
arbeiten verstand. Jawohl, Oscar Wilde. Wußten Sie, daß er das ›Bildnis des Dorian Gray‹ in zwei Wochen verfaßt hat?«
Er steckte den Kopf unter die Dusche und prustete geräuschvoll.
»Der andere war berühmt in partibus infidelium. Mitglied des Pen-Clubs. Er pflegte die Upanischaden im Original zu lesen und schrieb Französisch genauso flüssig wie Polnisch. Selbst die Kritiker hatten Respekt vor ihm. Mich allein fürchtete und haßte er, denn ich kannte die Grenzen seiner Fähigkeit. Ich fühlte sie in allem, was er schrieb, wie den dumpfen Hall des Faßbodens. Seine Anfänge waren großartig, die Situationen echt, seine Gestalten Menschen von Fleisch und Blut, und die Handlung lief flüssig und glatt, bis sie zu dem Punkt gediehen war, wo sich der Autor von der Ebene des vollgeschriebenen Blattes lösen können und um eine Kleinigkeit, einen Schritt nur, höher gehen muß. Hier lagen seine Schranken. Dazu war er nicht mehr imstande. Die anderen spürten die falschen Töne nicht, und deshalb glaubte unser Dichter, er würde sich ebenso halten können wie der nackte Kaiser in Andersens Märchen. Doch ich hörte sie heraus, wie die Dauben am Klang verraten, ob ein Faß leer ist oder nicht. Verstehen Sie? Ein fremdes Werk ist wie ein ruhendes Gewicht. Trage ich es oder nicht? frage ich mich. Das heißt: Reicht meine Kraft aus, ebensolches zu schaffen?«
»Na, und sind diese Versuche gelungen?«
Sekulowski kratzte sich den eingeschäumten Rücken mit Behagen. »Wohl ja. Zwar las ich mein Produkt, wenn es vor mir lag, manchmal selbst mit einer gewissen Verwunderung … In vielen Fällen ist es doch nur eine Frage des Stils. Die Generationsunterschiede lassen sich im Grunde darauf zurückführen, daß eine Zeitlang ›Der Morgen war voller Rosenduft‹ geschrieben wird; kommen aber die Neuen und wollen das Unterste zuoberst kehren, so heißt es dann eine Weile: ›Der Morgen roch nach Pisse.‹ Das Prinzip jedoch ist gleichgeblieben. Das sind noch lange keine Reformen. Das Neuerertum beruht auf etwas ganz anderem.«
Er schnaubte unter dem heißen Wasserstrahl wie ein Seehund.
»Jedes Ding muß das Skelett einer Frau haben, man darf es nicht fühlen … übrigens genauso wie beim Weibe. Warten Sie, mir fällt da gerade eine reizende Geschichte ein. Vorgestern hat mir Dr. Rygier ein paar alte literarische Zeitschriften geliehen. Unterhaltsam, kann ich Ihnen sagen! Diese Meute von Kritikern, die jedes Wort in der Überzeugung ausposaunten, es sei die Geschichte, die durch ihren Mund daherrede, dabei war es bestenfalls der Schluckauf vom gestrigen Saufgelage. Aua!« Die Seife war ihm im Haar klebengeblieben. Zärtlich tätschelte er seinen Bauch, während er weitersprach: »Aus jener Epoche habe ich eine besonders schmerzliche Einnerung behalten, die erst die Zeit lindern konnte. Hörten Sie davon? Doch lassen wir die Namen aus dem Spiel. Laß ruhen ihn im Grabe, das ich bekäckert habe …« Er lachte ordinär, vielleicht hatte ihn seine Blöße dazu provoziert. Er spülte sich ab, nahm den Bademantel und fuhr gesetzter fort: »Angeblich war ich das unverschämteste Geschöpf unter der Sonne, im Grunde jedoch war wohl keiner so unsicherwie ich … Damals wählte man die Ideologie wie die Krawatte aus einem Bündel: Die bunteste und lukrativste war Trumpf. Über uns wehrlosen Hungerleidern strahlte damals ein Kritiker der älteren Generation wie eine Supernova. Er schrieb etwa in der Art, wie Hafis die Lokomotiven besungen haben würde. Durch und durch neunzehntes Jahrhundert, erstickte er in unserer Atmosphäre. Die Großen fehlten ihm. Uns, die junge Generation, geruhte er noch nicht wahrzunehmen. Einzeln zählten wir gar nichts: Wir mußten schon unser zehn ankommen, wenn er sich überhaupt herabließ zu grüßen. Ein interessanter Mann, sage ich Ihnen! Der geborene Dichter, der Begabung mit treffsicherem bildlichem Ausdruck, Humor mit völliger Erbarmungslosigkeit in sich vereinte. Das letzte ist die Hauptsache, denn damit kann man jeden Schrecken aus der Tiefe heraus schildern. Absolut unerschütterlich sein, darauf kommt es an. Die Sätze mit Leidenschaft schwängern heißt alles zunichte machen. Und so war es. Für eine scharfe Metapher, die ihm einfiel, war er bereit, ein Buch samt dem Autor in Grund und Boden zu verdammen. Sie werden fragen, ob er das gegen seine Überzeugung tat. Das wäre naiv.« Sekulowski scheitelte hingegeben sein nasses Haar. »Heute weiß ich es ganz sicher, daß er an nichts
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