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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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eine Weile. Er fühlte sich den Großen zugehörig.
    Jetzt lispelte er nach längerem Murmeln: »Sagen Sie!«
    Das bedeutete, daß er zwei weitere große Zahlen haben wollte.
    »Nun …« Stefan zählte gewissenhaft die Tausender auf und ließ ihn malnehmen. Der Idiot flüsterte sabbernd, schluckte und meldete das Resultat. Stefan stand eine Zeitlang nachdenklich am Bettende. Der andere war verstummt, dann hob er von neuem an zu jammern: »Sagen Sie mehr!«
    Stefan warf ihm noch einige Zahlen hin. Vielleicht war es ihm Bedürfnis, sein Gewissen zu beruhigen? Er hatte Augenblicke, da ihn plötzlich Angst überkam, da er glaubte, er müsse hier vor all denen niederknien und sie um Verzeihung anflehen, daß er so normal sei und daß er ihrer manchmal in seiner Selbstzufriedenheit vergesse …
    Stefan wußte wieder nicht wohin. Schließlich ging er doch zu Sekulowski.
    Der Poet war gerade beim Rasieren. Da Stefan auf dem Tisch einen Band von Bernanos bemerkte, wollte er sich über die Werte der christlichen Ethik verbreiten, aber Sekulowski ließ ihn nicht zu Ende sprechen. Er stand mit eingeseiftem Gesicht vor dem Spiegel und schwenkte kategorisch den Pinsel, so daß der Schaum auf den Boden spritzte.
    »Lieber Doktor, das hat doch alles keinen Sinn, was Sie da reden. Die Kirche, diese alte Terrororganisation, massiert schon seit zwei Jahrtausenden die Seelen, und was ist dabei herausgekommen? Für die einen sind es Offenbarungen, für die anderen ganz einfach offenkundige Symptome.«
    Dem Thema Genialität hingegen wußte er mehr abzugewinnen; Stefan vermutete, daß er es »von innen heraus« durchdachte. Hielt sich wohl selbst für ein Genie.
    »Nun ja, van Gogh … Pascal … ja, eine alte Geschichte. Andererseits wißt ihr Lumpensammler menschlicher Seelen rein gar nichts über unsereinen.«
    So, so, dachte Stefan.
    »Ich erinnere mich aus meinen Lehrjahren an etliche interessante, ganz einfach sublimierte Formen, die auf dem Nährboden verschiedener literarischer Milieus gewachsen sind. Da war ein junger Schriftsteller. Ihm ging alles so leicht von der Hand; Fotos von ihm in den Zeitungen, Übersetzungen, Interviews, zweite Auflagen, alles, wasman sich denken kann. Mir platzte bald der Kragen vor Neid. Ich gewöhnte mich daran, den Haß zu kontemplieren wie Buddha das Nichts. Als wir uns kennenlernten, hatten wir beide einen über den Durst getrunken. Völlig enthemmt war er schon, da gestand er mir weinend, wie er mich um meinen Elitarismus, um meine Zurückgezogenheit, um meinen gedämpften Kammerton beneide. Ich sei so entschlossen, ginge so sparsam um mit meinen Verszeilen. Er finde meine Einsamkeit souverän und unabhängig. Am anderen Tag kannten wir uns nicht mehr. Wenig später veröffentlichte er einen Essay über meine Sachen: eine Spottgeburt aus Dreck und Feuer. Ein wahres Kunstwerk des angewandten Sadismus. Bitte, wenn Sie weiterhören wollen, kommen Sie mit rüber, ich muß jetzt baden.«
    Sekulowski gewährte Stefan nämlich seit einiger Zeit Zutritt zu seinen abendlichen Waschungen, vielleicht weil er glaubte, darin ein neues Mittel gefunden zu haben, den Arzt zu erniedrigen. Er stellte sich nackt unter die Brause und fuhr fort: »Als ich debütierte, war ich nicht zufrieden, solange mich meine Freunde in den Himmel hoben. Ließen sie es sein, dachte ich mir: Aha! Und als es dann Ratschläge hagelte, ich hätte mich in eine Sackgasse verrannt, ich sei am Ende und solle lieber aufhören zu schreiben, da wußte ich, daß alles in bester Ordnung war.«
    Er seifte sich mit einem Handschuh die behaarte Gesäßfalte ein.
    »Ich kannte damals zwei Schriftsteller, die schon ergraut waren. Der eine nannte sich Epiker, hatte aber noch keine einzige größere Arbeit fertiggebracht und lebte von Vorschußlorbeeren. Jedermann kreditierte ihm, nur ich nicht. Er sammelte Mottos wie Schmetterlinge; die sollten in sein ›Lebenswerk‹ hinein, an dem er von Jugend an schrieb. Er korrigierte dauernd darin herum, berief sich auf FlaubertsEntwürfe, nahm unausgesetzt Änderungen vor, und nie war es das Richtige. In einer Woche stellte er vielleicht ganze drei Wörter um. Nach seinem Tode bekam ich das Manuskript ein paar Tage in die Finger. Nun sind Sie wohl gespannt, wie? Kurz gesagt: flau. Vergebens das ausdauernde Schuften, vergebens der gute Wille. Glauben Sie den Aufschneidern nicht. Talent muß man haben. Man verschone mich mit den korrekturverwanzten Manuskripten Flauberts! Ich habe gesehen, wie Wilde zu

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