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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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… ich verstehe mich nicht drauf. Es begann vor Rusiaks Hof, als ich gerade von der Heumahd zurückkehrte. Da ist es über mich gekommen. Die Bäume im Obstgarten … wissen Sie, und die Scheune … alles wurde irgendwie anders.«
    »Drücken Sie sich klarer aus, wie war das?«
    »Na, dort bei Rusiaks Hof hatte sich alles verwandelt. Es war das alte und doch nicht das alte.«
    Marglewski drehte sich hastig zum Saal um. Schnell und deutlich, wie ein Schauspieler, der zum Publikum spricht, warf er ein: »Ein Schizophrener mit Zerfall der psychischen Funktionen, völlig geheilt …«
    Er wollte weiterreden, aber der Alte unterbrach ihn: »Ich habe … so viel … so viel geschaut …« Er stotterte. Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. Sein Daumen rieb hartnäckig den Haaransatz an der Schläfe.
    »Schön, schön. Das wissen wir ja schon. Aber jetzt doch nicht mehr, wie?«
    Der Patient ließ den Kopf sinken.
    »Sind Sie gesund? Na, antworten Sie!«
    »Nein, ich sehe nichts mehr«, bestätigte er unterwürfig und schien zusammengeschrumpft.
    »Bitte, geben Sie jetzt acht!« rief Marglewski dem Auditorium zu, trat ganz dicht an den alten Mann heran und sprach langsam und mit Nachdruck, die Worte absichtlich scharf voneinander trennend: »Sie werden auch nichts mehr sehen. Sie sind gesund und dürfen bald nach Hause, denn Ihnen fehlt nichts. Verstehen Sie? Zurück zum Sohn, zur Familie …«
    »Ich soll also nie mehr …?« wiederholte der Alte wie versteinert.
    »So ist es! Sie sind kerngesund!«
    Der Greis im kirschroten Anstaltsrock zeigte Bestürzung, mehr noch – eine so sichtbare Verzweiflung, daß Marglewski vor Freude strahlte. Er wich einen Schritt zurück, um den Eindruck nicht zu verwischen, und wies nur mit einer knappen Bewegung der an die Brust gelegten Hand auf den Mann vor ihm.
    Der Alte trat händeringend mit schweren Schritten an das Pult, stützte seine quadratischen Pranken auf, von denen die Krankheit den Sonnenbrand und den in die hornige Haut eingefressenen Schmutz abgewaschen hatte. Nur die papiergelben Schwielen hoben sich ab wie Kienäste im Holz.
    »Meine Herren …«, flehte er mit dünner, jammernder Stimme, »wäre es nicht möglich … Warum haben Sie das mit mir gemacht? Ich habe ja nichts dagegen … daß es mich nach allen Seiten gerissen hat … dieser elektrische Apparat oder wie er sonst heißt … Könnte ich nicht hierbleiben? Zu Hause pfeift die Not aus allen Löchern, derSohn allein schafft es nicht, die vier Mäuler zu stopfen. Was soll ich dort? Wenn ich noch arbeiten könnte, wäre es etwas anderes, aber meine Hände und Füße wollen nicht mehr. Wozu bin ich dann noch nütze? Lange hab ich sowieso nicht mehr zu leben, Essen brauche ich nicht viel, lassen Sie mich doch hierbleiben …«
    Während dieser Ansprache malten sich auf Marglewskis Zügen immer heftigere Gefühle: Die anfängliche Freude wechselte in Bestürzung, dann in Unruhe, schließlich in hemmungslose Wut. Er gab dem Pfleger ein Zeichen. Der kam schnell herein und packte den Alten von hinten an den Ellenbogen. Der Kranke versuchte sich in einem unwillkürlichen Freiheitsdrang loszureißen, sackte aber zusammen und ließ sich ohne Widerstreben hinausführen.
    Totenstille herrschte im Saal. Marglewski, bleich wie die Wand, drückte sich mit beiden Händen die Brille auf die Nase und schritt unter entsetzlichem Quietschen seiner neuen Schuhe zum Pult. Er öffnete gerade den Mund zum Sprechen, als sich aus einer der letzten Reihen Kauters’ Stimme vernehmen ließ. »Nun ja, Kollege, von einer Sehnsucht war hier schon die Rede, aber nicht so sehr von der nach Krankheit als vielmehr nach was Warmem im Bauch.«
    »Erlauben Sie! Ich bin noch nicht am Ende. Ihre Bemerkungen wollen Sie bitte nachher vorbringen«, schnaubte Marglewski. »Werte Kollegen, dieser Kranke hat ekstatische Zustände, erhabene Gefühle durchlebt, die er nicht mehr zu schildern vermag … Vor seiner Erkrankung war er schwachsinnig, beinahe ein Kretin. Ich habe ihn geheilt, aber Öl konnte ich ihm nicht in den Kopf träufeln, wenn ich es so ausdrücken darf … Das, was er eben produzierte, war purer Schwindel, List, wie sie bei Kretins häufig vorkommt. Aber ich beobachte diesen Trieb nach der Krankheit bei ihm seit langem.« Er redete nocheine ganze Weile so. Schließlich putzte er sich mit zitternden Händen die Brille, schob mit der Zungenspitze die Lippe vor, wiegte sich mehrmals auf den Sohlen und schloß: »So, das wäre eigentlich

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