Das Hospital der Verklärung.
hinein.
Nur das Nachttischlämpchen brannte; es füllte den Raum mit einem zitronenblassen Schimmer, der im breiten Widerschein des Spiegels auf dem Bett und an der Wand darüber lag. Die Flasche Curaçao zur Hälfte geleert: ein gutes Zeichen. Das Bett zerwühlt, als wäre ein Tornado darüber hinweggestürmt. Doch wo steckte die Nosilewska? Staszek lag angekleidet auf dem Bett, den Kopf tief in die Kissen vergraben, und weinte.
»Staszek, was ist los? Wo ist sie?« rief Stefan verdutzt aus und sprang hinzu.
Der andere stöhnte laut auf.
»Nun, raus mit der Sprache, was ist passiert?«
Schluchzend hob Staszek sein tränenasses, gerötetes, verschmiertes Gesicht: das Antlitz der Verzweiflung.
»Wenn dir … Wenn ich … Wenn du für mich …«
»Also vielleicht drückst du dich mal genauer aus!«
»Ich sage es nicht! Wenn du wirklich Freundschaft für mich empfindest, wo … wollen wir nie mehr darüber sprechen.«
»Aber was ist denn eigentlich los?« fragte Stefan, in dem die Neugier entschieden Oberhand über die Diskretion gewann.
»Oh, ich Unglücklicher …«, murmelte Staszek. Mit einemmal schrie er auf: »Nein, gar nichts sage ich, laß mich in Ruhe!« und lief davon, das Kissen an die Brust gepreßt.
»Gib das Kissen her, du Narr!« rief Stefan ihm nach, aber Staszek war schon die Treppe hinunter.
Stefan ließ sich in den Sessel fallen, sah sich prüfend im Zimmer um, hob sogar die Steppdecke, schnupperte kurz entschlossen am Kopfkissen, konnte jedoch nichts entdecken. Seine Neugier war so stark, daß er schon zur Nosilewska gehen wollte; aber er mäßigte sich. Vielleicht würde Staszek bis morgen seine Beherrschung wiederfinden … Vielleicht würde man auch aus ihrem Verhalten etwas folgern können … Das ganz bestimmt nicht – gab er sich selbst zur Antwort.
VATER UND SOHN
D ER HERBST ging zur Neige; Dunghaufen hoben sich von den gepflügten Äckern ab gleich riesigen schwarzen Maulwurfshügeln. An der vorzeitig vergilbten Espe vor Stefans Zimmer zeigten sich schwärzliche Flecken. Oft stand Stefan jetzt reglos am Fenster, versunken in die Betrachtung des Horizonts, der bläulich wie eine Messerklinge herüberschimmerte. In letzter Zeit hatte er Stunden völliger Erstarrung: In der bequemsten Haltung, den Blick zum Himmel gehoben, folgte er den Mustern, die die winzigen, in der Augenlymphe kreisenden Staubteilchen in den leeren Glast zeichneten.
Einmal bat ihn Dr. Nosilewska, das Krankenblatt für eine neue Patientin auszufüllen. Er willigte gern ein, um der Langeweile zu entrinnen.
Es wäre zuviel gewesen zu behaupten, die Kranke sei eine magere Brünette. Sie gehörte zu den knabenschlanken Geschöpfen, die sich die Büste mit Spitze ausstopfen, um die Blicke der Männer auf sich zu ziehen. Der Charme dieser achtzehnjährigen Schizophrenen lag in ihren blitzenden schwarzen Augen. Ihre Hände irrten stets um den Kopf herum; flatternd wie schmächtige Täubchen, landeten sie einmal auf den Wangen, ein andermal unter dem kleinen Kinn. Geriet man aus dem Bannkreis ihres Blickes, so war der ganze Zauber vorbei.
Die Visite wurde Stefan eine angenehme Pflicht. Je mehr er sich dagegen sträubte, um so besser gefiel ihm die Patientin. Unglücklich, ja tragisch verliebt – Genaueres war nicht zu ergründen –, wollte sie die böse Welt, in der ihr soviel Leid widerfahren war, verlassen und sich in die Welt der Spiegel, in ihr eigenes Spiegelbild retten.
Wenn sie Stefan kommen sah, lief sie ihm freudig entgegen, denn sie wußte, daß er stets einen kleinen Nickelspiegel bei sich hatte und ihr erlauben würde hineinzuschauen.
»Dort ist es so … so … so wundervoll …«, flüsterte sie, wobei sie unermüdlich an ihren Brauen und Locken nestelte. Sie konnte sich nicht losreißen von der glänzenden Fläche.
Sie erinnerte Stefan an die Frauen seiner Kollegen aus der Stadt, die von früh bis spät vor dem Spiegel sitzen konnten, um sich zuzulächeln, um das Leuchten des Auges, die Sommersprossen und die Fältchen zu prüfen, um hier zu glätten, da zu zupfen, wie ein Alchimist, der darauf wartet, daß Gold in seinem Destillierkolben erscheint.
Gewiß, dieses Gehabe war nichts als anomale Aufdringlichkeit: daß er bisher nicht daran gedacht hatte! Aber es wäre ja auch völlig falsch zu behaupten, jeder Neurastheniker sei intelligent.
Es kann auch nervöse Idioten geben, überlegte er wütend, denn das klang beinahe wie ein Geständnis: Und so einer bin ich zum Beispiel.
Das Mädchen
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